Nur noch wenige Wochen, dann wird auch in der Ukraine geerntet. Foto: dpa/Arne Dedert

In der Debatte über den Kampf mit Nahrung wird mit vielen Halbwahrheiten und mit ungenauen Zahlen hantiert. Eine Übersicht.

Es ist in diesem Krieg ja zur Regel geworden, dass keine Behauptung unwidersprochen stehen bleibt und dass auch die abstrusesten Äußerungen in den sogenannten sozialen Medien Zustimmung finden. Nun hat der russische Außenminister erklärt, dass der Westen im Zusammenhang mit ukrainischen Getreidelieferungen zwar von einer „universellen Katastrophe“ redet, dies aber zu Unrecht. Der ukrainische Anteil an der weltweiten Produktion von Getreide betrage schließlich weniger als ein Prozent, so Sergej Lawrow.

Schauen, worauf es wirklich ankommt

Ein Musterbeispiel für eine ziemlich geschickte Form der Desinformation. Für sich genommen ist die Behauptung Lawrows bezüglich der Getreideproduktion vermutlich nicht einmal falsch. Aber darauf kommt es gar nicht an. Da ist zum einen die Definition von „Getreide“. Weizen, Mais und Roggen gehören dazu, aber auch Reis und Hirse. Als Produzent für diese Getreidearten hat sich die Ukraine tatsächlich nicht besonders hervorgetan. Zählt man alle Getreidesorten zusammen, ist der ukrainische Anteil daran also wirklich gering.

Bringt man also völlig zu Unrecht wogende Weizenfelder mit der Ukraine in Verbindung? Oder Felder mit Mais und Sonnenblumen, so weit das Auge reicht? In der Liste der weltweiten Weizenproduzenten taucht die Ukraine auf Rang sieben auf, bei Mais ist es ein Platz weiter vorne. Aber auch das ist nicht der Wert, auf den es zu blicken lohnt. Indien, der nach China weltweit zweitgrößte Weizenproduzent, hat gerade angekündigt, die gesamte Ernte im eigenen Land zu behalten. China braucht seine Produktion ohnehin, um das Milliardenvolk zu versorgen. Doch die Ukraine verkauft große Teile der Ernte.

Gefährlicher Weg in den libyschen Kindermagen

Neun Prozent des weltweit gehandelten Weizens stammt aus dem Land, das gerade von Russland überfallen wird. Bei Mais sind es sogar zwölf Prozent. Das ist ein sehr ordentlicher Anteil. Und wenn man den Blick gezielt auf einige Empfängerländer richtet, dann steigt die ukrainische Bedeutung für den Kampf gegen den Hunger dort noch weiter. 27 Prozent des in Indonesien eingeführten Weizens stammen aus der Ukraine, in Tunesien sind es 27 Prozent und in Libyen sogar stolze 41 Prozent.

Der Weg vom ostukrainischen Weizenfeld zum libyschen Kindermagen führt dabei in den allermeisten Fällen über Odessa. Rund zwei Drittel der ukrainischen In- und Exporte werden hier verschifft. Die Seeblockade, die derzeit das Ein- und Auslaufen von Schiffen verhindert, hat daher globale Ausmaße.

Reiche Länder haben zu wenig

Um aufziehenden Hungersnöten zu begegnen, können reiche Nationen zwar einen Teil dessen zur Verfügung stellen, was sie selbst für schlechte Zeiten zurückhalten. Ein Blick auf die Zahlen zeigt allerdings, dass dies bei Weitem nicht ausreichen wird. Die sogenannte strategische Reserve der Europäischen Union liegt bei insgesamt elf Millionen Tonnen Getreide. Die Ukraine produzierte 2021 alleine an Weizen in etwa die dreifache Menge davon.