Zuerst nach Moskau, dann nach Peking. Viktor Orban auf seiner umstrittenen „Friedensmission“ – hier mit Chinas Präsident Xi Jinping . Foto: AFP/HANDOUT

In Brüssel werden die Reisen des ungarischen Premiers nach Moskau und Peking scharf kritisiert. Angedacht wird sogar, ihm die EU-Ratspräsidentschaft zu entziehen.

Donald Tusk hat die Nase gestrichen voll von Viktor Orbans sogenannter „Friedensmission“. Der polnische Premier fordert nach Informationen aus Regierungskreisen in Warschau, dass die Reisen seines ungarischen Kollegen am Mittwoch bei einem Treffen der EU-Botschafter in Brüssel offen diskutiert werden. Vor allem der Besuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin wird von Tusk scharf kritisiert. Auf dem Kurznachrichtendienst „X“ warf er ihm sogar vor, sich zum willfährigen „Werkzeug“ des Diktators im Kreml zu machen.

Orban nicht im Auftrag der EU unterwegs

Nach Besuchen in Kiew und in Moskau vergangene Woche war Orban am Montag in China und traf Staats- und Parteichef Xi Jinping. In Brüssel war die Empörung darüber riesig, da Ungarn im Moment den Vorsitz der Ratspräsidentschaft innehat. Alle Verantwortlichen betonten deshalb ausdrücklich, dass Orban nicht im Auftrag der EU unterwegs gewesen sei.

Der ungarische Premier hat die Vehemenz der Reaktionen offenbar unterschätzt, denn inzwischen wird nicht nur hinter vorgehaltener Hand darüber diskutiert, wie man Budapest die Ratspräsidentschaft entziehen könnte. „Orbans Schurkenpräsidentschaft könnte schneller zu Ende sein als erwartet“, spottet der grüne Europaparlamentarier und Korruptionsbekämpfer Daniel Freund auf „X“, vorausgesetzt, „es gibt den politischen Willen der EU-Mitgliedsstaaten“.

Ein Drehbuch für Orbans Rauswurf

Daniel Hegedus, Experte für internationale Beziehungen beim German Marshall Fund, hat für diesen Fall bereits ein Drehbuch entworfen. Er sieht in den Alleingängen nicht nur eine große Gefahr für die EU, sondern auch eine genau überlegte Strategie. Orban versuche, die Europäische Union gezielt lächerlich zu machen, indem er zeige, dass sogar massive Verstöße gegen die Regeln keine Konsequenzen nach sich ziehen, schreibt Daniel Hegedus auf „X“.

Das könne nur beendet werden, indem ihn die Mitgliedstaaten gezielt mit Sanktionen belegen. Möglich wäre, die Ratspräsidentschaft mit einem Mehrheitsbeschluss zu verkürzen und das Ende auf den 1. September zu legen. Nötig wäre für so eine Änderung wohl eine sogenannte verstärkte qualifizierte Mehrheit – mindestens 20 der 27 EU-Regierungen, die zusammen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der Europäischen Union repräsentieren, müssten zustimmen.

Der Politikwissenschaftler schlägt allerdings vor, parallel dazu sogar den sogenannten Artikel 7 zu aktivieren. Auf dessen Grundlage kann einem Land etwa das Stimmrecht entzogen werden und stellt die härteste Sanktionsmaßnahme für ein EU-Mitglied dar. Daniel Hegedus plädiert für ein rigides Vorgehen, da Orban sich anders offensichtlich nicht beeindrucken lasse.

Orban setzt auf den Sieg von Trump

Wesentlich vorsichtiger argumentiert Kai-Olaf Lang, Osteuropaexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er erklärt gegenüber unserer Zeitung: „Orban würde sich bei einem Entzug der Ratspräsidentschaft zum Opfer stilisieren, das sich mit seiner abweichenden Friedensstrategie den Interessen der Großen in der EU entgegensetzen wollte.“ Diese Strategie würde dem Premier auf jeden Fall innenpolitisch nutzen, ist Kai-Olaf Lang überzeugt, außenpolitisch setzt er ohnedies auf einen Kurswechsel in den USA mit Donald Trump“. Einen Wahlsieg des umstrittenen Präsidentschaftskandidaten würde er dann ebenfalls als Erfolg seiner „Friedenspolitik“ interpretieren.

Den großen Zorn über die Reise Viktor Orbans konnte auch ein Brief des Ungarn an den Präsidenten des Europäischen Rates und seine EU-Kollegen nicht mildern. Nach seiner Aufwartung bei Putin schrieb der Premier nach Angaben der Europaausgabe der russischen Tageszeitung „Prawda“, dass er während des Besuchs „keine Vorschläge gemacht oder eine Meinung im Namen des Europäischen Rates oder der Europäischen Union geäußert“ habe. Gegenteilige Aussagen seien völlig „unbegründet“.

Orbans Versuche der Beschwichtigung

Diese Aussage wird in Brüssel allerdings als blanke Augenwischerei abgetan. Denn natürlich sei er bei seinen Visiten in Moskau und Peking als offizieller Vertreter der EU wahrgenommen worden und habe es mit seiner „Friedensmission“ auch gezielt darauf angelegt, kritisieren EU-Diplomaten. Es gebe allerdings keine konkreten Pläne, Ungarn die Ratspräsidentschaft zu entziehen, wird weiter versichert.

Hinter den verschlossenen Türen dürfte mit dem ungarischen EU-Botschafter am Mittwoch aber wahrscheinlich Tacheles geredet werden.