Die Träger der Migrationsberatung im Kreis Esslingen machen auf geplante Kürzungen für die Bundesprogramme Migration und Flucht aufmerksam. Ihre Sorge gilt dem einseitigen Fokus auf Problemfälle.
Die Sorge um die Zukunft der Migrationsberatung im Kreis Esslingen treibt die hiesigen freien Träger um. Mit Blick auf die Kürzungspläne des Bundesflüchtlingsprogramms für kommendes Jahr fürchten sie massive finanzielle Einschnitte zulasten ihrer Angebote – und das in Zeiten zunehmender Aufgaben. Mit Sorge erfüllt die Akteure auch die gesellschaftliche Debatte, die angesichts gewalttätiger Angriffe von Menschen mit Migrationshintergrund ausgelöst wurde.
Nicht ganze Gruppen stigmatisieren
„Wir haben Angst, dass die lauten Stimmen Gehör finden“, sagte Uwe Stickel, der das Diakonische Beratungszentrum in Esslingen leitet, mit Blick auf die zunehmenden migrationsfeindlichen Beiträge. Das Fehlverhalten einzelner dürfe aber „niemals dazu führen, dass pauschal bestimmte Gruppen von Menschen stigmatisiert, rassifiziert und als nicht zugehörig markiert werden“, heißt es in einem gemeinsamen Appell von 27 Organisationen wie Diakonie Deutschland, Kindernothilfe, Neue Richtervereinigung, Pro Asyl, Der Paritätische und viele weiterer Partner, der auch an die Bundestagsabgeordneten im Kreis Esslingen verschickt wurde.
„Im Moment sind nur extreme Personen im Fokus, die unsere Gastfreundschaft missbrauchen“, sagte Uwe Stickel. Solche Menschen dürften hier nicht bleiben, darin sind sich die Beteiligten einig. Gleichzeitig kennt Stickel viele Beispiele erfolgreicher Integration. „Wir haben sehr große Erfolge in der Beratung von Ausländern“, berichtet er: „Das Gros der Menschen will sich integrieren und hier Fuß fassen“, erklärte er. Die Migrationsberatung, die im Kreis Esslingen von freien Trägern angeboten wird, betrachten die Akteure als eine eigentlich staatliche Aufgabe, die das Bundesamt für Migration delegiert hat.
Recht auf Integration
„Wir leben in einem sehr sozialen Staat mit dem Recht auf Integration“, darüber sei sie sehr froh und hoffe, dass es auch künftig so bleiben könne, sagte ihrerseits Julia Rieger vom Nürtinger Trägerverein Freies Kinderhaus, der neben der Psychosozialen Beratung für psychisch belastete und traumatisierte Geflüchtete als Träger der Kinder- und Jugendhilfe eine ganze Bandbreite sozialpädagogischer Angebote wie Sprachkurse für geflüchtete Frauen sowie eine Jugend- und Kinder-Kultur-Werkstatt sowie Kunsttherapie anbietet.
Doch die dauernde Frage, wie die Arbeit finanziert werden kann, zermürbe: „Es ist schwierig, eine kontinuierliche und nachhaltige Arbeit zu leisten, wenn die Finanzierung immer projektgebunden ist“, erklärte Julia Rieger mit Blick auf die Angebote. Auch die Gruppentherapie, die zwei ukrainische Psychologinnen für geflüchtete Ukrainerinnen anbieten, stehe angesichts einer unklaren Weiterfinanzierung auf der Kippe. „Die Rahmenbedingungen sind viel schwieriger geworden“, bestätigte Petra Wolf von der Fachstelle Lebenshorizonte/Allgemeine Sozialberatung der Caritas. Damit meint die Esslinger Beraterin nicht nur Auflagen des Bundesamts für Migration, sondern auch gut gemeinte Neuerungen wie den Jobturbo, mit dem Geflüchtete schneller in Arbeit kommen sollen. Jeder könne seinen Weg machen, wenn es die Bedingungen erlaubten, ergänzte Rieger, so kenne sie viele Geflüchtete, die inzwischen als Altenpfleger arbeiteten.
Allerdings könnten geflüchtete Menschen nur dann einen Sprachkurs auf B2-Niveau belegen, wenn sie in Arbeit seien, doch für Berufstätige gebe es viel zu wenig Abendkurse. Und davon unabhängig gebe es schon jetzt längst nicht für jeden Interessierten einen Sprachkursplatz. „Viele würden gern loslegen, aber die Hürden sind hoch und viele Ausländerämter sind zudem schlecht erreichbar“, berichtete Wolf und erklärte, auch das Zusammenspiel mit dem Jobcenter daure oft zu lang. Dann könne es passieren, dass die Klienten angesichts monate- und teils jahrelanger Abläufe ungeduldig und manchmal sogar aggressiv würden.
Hiesige Werte vermitteln
Besondere Herausforderungen erlebt auch Ingrid Gunzenauser vom Fachdienst Jugend, Bildung, Migration der Bruderhausdiakonie aus Nürtingen, deren Einrichtung auch jugendliche Geflüchtete ohne Aufenthaltsstatus unterstützt. Neben dem Aufbau von Beziehungen und Ankerpunkten verstehe sie die Vermittlung des hiesigen Werte- und Rechtssystems als wichtigen Teil der Präventionsarbeit. Die jungen Menschen mit Fluchterfahrung müssten vor weiteren Ohnmachtserfahrungen und vor Perspektivlosigkeit bewahrt werden und man müsse bei ihren Stärken und Kompetenzen ansetzen, sonst drohe die Gefahr der Radikalisierung.
„Viele brauchen individuelle Unterstützung und fallen in ein Loch angesichts der bürokratischen Hürden“, berichtete der Nürtinger Psychologe Amir Yousef aus seiner Praxisarbeit. Traumatisierte Menschen bräuchten Erfolgserlebnissen, um ihre Ängste abzubauen. Fehle Hilfe, isolierten sie sich und manche meinten, ihr Leben sei nichts mehr wert.
Langsame bürokratische Prozesse
„Wie kann man mit Angst leben?“, fragt der Psychologe. Die Klienten seien voller Angst, ob und wann sie einen Sprachkurs machen können, wie sie an eine medizinische Versorgung und eine Wohnung kommen. Die bürokratischen Prozesse seien viel zu langsam.
Die Ausländerbehörde in Esslingen sei immer noch überfordert, ergänzte Uwe Stickel vom Kreisdiakonieverband. Er wünscht sich mehr Vernetzung, eine Arbeit, die Diakonie, Caritas und Liga mit dem Kreis und der Stadt Esslingen nun endlich begonnen hätten. Um auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen haben die Verbände der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zu einer Aktionswoche für die Bundesprogramme im Bereich Migration und Flucht aufgerufen. Statt sich zu weiteren Verschärfungen treiben zu lassen und gegen eingewanderte Menschen zu hetzen, sei es wichtig, sich für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte einzusetzen. Zurückweisungen von Schutzsuchenden an deutschen Grenzen verstießen eindeutig gegen europäisches Recht und menschenrechtliche Grundprinzipien.
Teil der Gesellschaft
Aktion
Die Verbände der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege rufen angesichts geplanter Mittelkürzungen für Integration zur Aktionswoche für die Bundesprogramme im Bereich Migration und Flucht auf.
Appell
Für die Rechte aller Menschen in unserer Gesellschaft einzutreten, stärke auch die eigenen Rechte, heißt es in einem Appell der Verbände an die politischen Mandatsträger. Die Gesellschaft dürfe sich nicht spalten lassen, denn nach Deutschland geflüchtete Menschen seien Teil unserer Gesellschaft.