Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Klinikfinanzierung auf eine neue Grundlage stellen. Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will Patienten ermöglichen, bei Behandlungen im Krankenhaus die Nächte zu Hause zu verbringen

Krankenhauspflege-Entlastungsgesetz – das klingt ja nicht gerade prickelnd. Dahinter verbirgt sich eine Revolution. Jedenfalls sieht es Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) so. Er hat sich vorgenommen, die Vergütung der deutschen Kliniken auf eine neue Grundlage zu stellen – weg von den Fallpauschalen. Grundzüge des ganz großen Umbruchs sollen in der kommenden Woche vorgestellt werden, wenn eine vom Minister eingesetzte Wissenschaftler-Kommission ihre Vorschläge präsentiert. Aber das an diesem Freitag im Bundestag zu beschließende Gesetz ist schon eine wichtige Vorstufe auf diesem Weg. Das klingt sehr bürokratisch, hat aber für die Patienten erhebliche Relevanz. Eine Analyse.

Das Problem

Das System der Fallpauschalen bedeutet, dass jeder in der Klinik behandelte Fall pauschal mit einem festen Preis vergütet wird. Das hat seit der Einführung des Systems 2013 zu einem deutlichen Sinken der durchschnittlichen Verweildauer in der Klinik geführt. Die Kehrseite ist aber hochproblematisch: Da die Krankenhäuser ihr Budget zu 70 bis 90 Prozent aus den Fallpauschalen erwirtschaften, haben sie ein Interesse an möglichst vielen Fällen. Entgegen dem europäischen Trend stieg die Zahl der stationären Behandlungen in Deutschland von 2005 bis 2016 steil an und fiel jüngst erst coronabedingt. Unser Gesundheitssystem belohnt das Durchschleusen einer möglichst großen Zahl von Patienten in einer möglichst kurzen Zeit, denen möglichst viele Behandlungen zuteilwerden. Lauterbach nennt das „Arbeiten im Hamsterrad“. Das Entlastungsgesetz soll durch erste Maßnahmen das Drehen des Rades zumindest entschleunigen.

Mehr tagesstationäre Behandlungen

Im Vergleich zu den Nachbarländern hat Deutschland eine um rund 50 Prozent höhere Bettenkapazität und eine rund 50 Prozent über dem Durchschnitt liegende Quote von vollstationären Behandlungen. Eine tagesklinische Behandlung, bei der Patienten nachts nicht in der Klinik bleiben müssen, ist in Deutschland die Ausnahme. Dabei gibt es viele Fälle, bei denen es medizinisch keinen Sinn ergibt, Patienten nicht die Übernachtung zu Hause zu ermöglichen. Diese wäre für den Patienten eine Erleichterung, setzte ihn weniger Risiken wie etwa Krankenhauskeimen aus und würde auch das Pflegepersonal in Krankenhäusern entlasten, indem es die Zahl der Nachtdienste reduzierte. Als Beispiel führt der Minister onkologische Untersuchungen an. Tagsüber kann das mögliche Fortschreiten einer Krebserkrankung untersucht werden, aber nach dem Diagnosemarathon hat es medizinisch oft keinen Nutzen, den Patienten weiter über Nacht im Haus zu behalten. Aber dieser Fall ist in der Abrechnungssystematik der Fallpauschalen gar nicht vorgesehen. Das Gesetz sieht hier nun eine Änderung vor. Lauterbach hält die Neuregelung für einen Meilenstein: Fälle, in denen Patienten eigentlich unproblematisch zu Hause übernachten können, seien keineswegs die klinische Ausnahme, sondern „der am häufigsten abgerechnete Krankenhausfall überhaupt“.

Kinderkliniken

Die Kinderkliniken stehen zurzeit unter massivem Druck, weil der Personalmangel in den Kinderkrankenhäusern auf eine ungewöhnlich hohe Zahl von Kindern trifft, die derzeit mit akuten Atemwegserkrankungen klinische Hilfe brauchen. Unabhängig von der aktuellen Notlage sieht das Entlastungsgesetz strukturelle Veränderungen vor. Lauterbach will die Kliniken aus dem Zwang herausholen, ihr Budget über hohe Fallzahlen zu sichern. Deshalb will er die Pädiatrie aus dem Fallpauschalensystem ganz herausnehmen und die Vorhaltekosten der Häuser finanzieren. Für die Jahre 2023 und 2024 sollen die Kinderkliniken Zuschläge von jeweils 300 Millionen Euro erhalten, von denen jeweils 270 Millionen direkt vom Bund kommen. Sollten in 2023 die Fallzahlen der Kinderkliniken im Vergleich zum Basisjahr 2019 sinken, soll bis zu einem Wert von 80 Prozent der Zahlen von 2019 dennoch das volle Budget ausgezahlt werden.

Geburtshilfe

Für die Jahre 2023 und 2024 sollen jeweils 108 Millionen Euro zur Finanzierung der Geburtshilfe aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds bereitgestellt werden. Zudem soll der Personalaufwand für Hebammen im Krankenhaus ab 2025 vollständig im Pflegebudget berücksichtigt werden. Damit wären auch sie der Systematik der Fallpauschalen entzogen.