Quelle: Unbekannt

In den Krankenhäusern der Region spitzt sich der Pflegekräftemangel weiter zu. Vermehrt werben die Kliniken deshalb ausländisches Personal an.

StuttgartIn den Krankenhäusern der Region Stuttgart herrscht schon seit geraumer Zeit Pflegekräftemangel. Und er nimmt sogar noch weiter zu. Was also tun? Eine ganze Reihe von Krankenhäusern verstärkt die Akquise von ausländischen Fachkräften. Wie diese ausgebaut wurde, zeigt die Zahl der Erlaubnisse für Pflegekräfte mit ausländischer Ausbildung, die das Regierungspräsidium (RP) Stuttgart landesweit ausstellt: 2014 waren es noch 450, im Vorjahr schon 1778. Die Anträge auf Anerkennung sind jedes Jahr sogar doppelt so hoch und höher. Im laufenden Jahr hat das RP landesweit schon 624 solcher Erlaubnisse ausgestellt.

Die „Auslandsakquise ist ein Standbein der Mitarbeiter-Akquise“, sagt Ingo Matheus, Pressesprecher des Klinikverbunds Südwest. Seit 2012 habe man im Ausland 122 Pflegekräfte angeworben, vor allem in Italien und Osteuropa, 60 seien noch in den Häusern des Verbunds tätig. Dieses Jahr habe man weitere 15 Mitarbeiter aus Italien gewonnen, die noch einen Sprachkurs absolvierten. Die Fluktuationsrate über sieben Jahre entspreche der deutscher Mitarbeiter, so Matheus, die Aktivitäten seien „überaus erfolgreich“.

Viele gehen zurück

Die Anwerbungen der Vorjahre waren aber nicht immer von Erfolg gekrönt. So sind im Klinikum der Stadt Stuttgart von sieben Krankenschwestern aus Italien noch vier im Haus, von 30 Pflegekräften aus Ungarn nur noch einige wenige. Von vier Aspirantinnen aus Italien, die im Marienhospital tätig waren, ist eine übrig geblieben. Von fünf Mitarbeiterinnen aus Italien und Portugal, die das Robert-Bosch-Krankenhaus angeworben hatte, sind noch zwei dort. Dass nicht wenige der angeworbenen Kräfte aus Südeuropa wieder zurückgegangen sind, hat seinen Grund auch in einer anderen Ausbildung und entsprechend falschen Erwartungen. In diesen Ländern seien die Aufgaben der Pflege „medizindominierter, da wird die Körperpflege oft noch von den Angehörigen übernommen“, sagt Jürgen Gerstetter, Direktor für Pflege und Patientenmanagement im Marienhospital. Die Arbeit in deutschen Krankenhäusern sei auch „durchgetakteter“. Die Sprache bleibe eine hohe Hürde, auch die soziale Integration sei trotz großer Bemühungen nicht einfach, sagt Jan Steffen Jürgensen, Ärztlicher Geschäftsführer des städtischen Klinikums.

Trotz dieser Erfahrungen forcieren die Klinikträger ihre Bemühungen um ausländische Fachkräfte. Bevorzugter Partner etlicher Häuser bei der Personalgewinnung im Ausland: die Dekra. Die Tochter der Stuttgarter Prüfgesellschaft, die Dekra Expert Migration Healthcare, organisiert die sprachliche und fachliche Vorbereitung bereits qualifizierter Pflegekräfte berufsbegleitend schon in deren Heimat, angepasst an die Anforderungen in Deutschland. Derzeit bereiteten sich „mehr als 3000 ausländische Pflegekräfte in Schulen der Dekra in Serbien, Albanien, Bosnien Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und der Ukraine auf ihren Job als Pflegefachkraft in Deutschland vor“, wirbt das Unternehmen.

Auch die Stuttgarter Niederlassung der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit registriert einen wachsenden Bedarf an ausländischen Pflegekräften. „Die Nachfrage wird immer größer“, sagt Iuri Ribeiro von der ZAV in Bad Cannstatt. Der Kreis der Länder, in denen man um Fachkräfte wirbt, werde größer, Europa reiche nicht mehr aus. „Wir suchen auch in Drittstaaten weltweit“, sagt Ribeiro. Etwa auf den Philippinen, auch Indien rückt stärker in den Fokus. Und im Juni starten zwei Rekrutierungsprojekte zur Anwerbung von Krankenschwestern in Brasilien und von Ärzten in Mexiko.

Anwerbung auch in Asien

Im Stuttgarter städtischen Klinikum sind voriges Jahr 14 Pflegekräfte von den Philippinen angekommen, zehn haben die Sprachprüfung hinter sich. Im Robert-Bosch-Krankenhaus sind 30 Pflegekräfte von den Philippinen im Anerkennungspraktikum, 15 aus Serbien, 15 aus Vietnam. Im Marienhospital sind zehn Aspirantinnen aus Albanien im Verfahren. Dort rekrutiert auch das Diakonie-Klinikum vier Funktionskräfte für den OP und die Intensivpflege. Die Anwerbung ist sogar noch dringender geworden. Seit Jahresbeginn gelten für vier Klinikbereiche – Kardiologie, Intensivpflege, Geriatrie und Unfallchirurgie – Personaluntergrenzen. „Wenn wir die nicht einhalten, müssen wir Abschläge hinnehmen oder Betten zumachen“, sagt Jürgen Gerstetter. Durch die vom Bund eingeführten Untergrenzen verschärfe sich der Personalmangel noch, sagt Mark Dominik Alscher, der Ärztliche Geschäftsführer des Robert-Bosch-Krankenhauses. Das über Jahre entwickelte Zusammenspiel von Examinierten und Hilfskräften funktioniere nicht mehr. Statt teure Leihkräfte zu reduzieren, müsse man nun noch mehr einsetzen, „um Strafzahlungen zu vermeiden“. Alscher spricht von „Atemlosigkeit“ in der Gesundheitspolitik ohne Rücksicht auf Praxis und Bedarf: „Die Engpässe verschärfen sich, der ökonomische Druck wird massiv erhöht. Die Situation ist exzeptionell schwierig“.

Das Verhältnis unter den Krankenhäusern in Stuttgart und in der Region ist gereizt. Der Grund: Weil das Stuttgarter städtische Klinikum seit rund einem halben Jahr Mitarbeitern in Funktionsdiensten wie in den Operationssälen, der Intensivpflege und in der Geburtshilfe freiwillige Zulagen von mehreren Hundert Euro im Monat zahlt, ist die Konkurrenz verärgert. Man sieht sich im Nachteil beim immer härter werdenden Wettbewerb um Pflegekräfte. Ein Brief an Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne), unterzeichnet auch von Klinikträgern umliegender Landkreise, mit der Forderung, der OB solle diese Praxis abstellen, hat bisher nichts gefruchtet. Die Zulagen seien „im Moment notwendig, um die Versorgungssicherheit zu halten“, sagt der Ärztliche Geschäftsführer des Klinikums, Jan Steffen Jürgensen. Dies gelte insbesondere für die Geburtshilfe. Und er kontert. Den Wettbewerbern wirft Jürgensen vor, in der Sache „nicht ganz ehrlich“ zu sein. Schon bevor das Klinikum Hebammen Zuschläge bezahlt habe, hätten dies Häuser in der Region getan. Das Robert-Bosch-Krankenhaus zahle inzwischen ebenfalls Zulagen. Jürgensen verweist überdies auf eine aktuelle Stellenanzeige des Klinikverbunds Südwest in Sindelfingen. Darin wird Pflegekräften, die Springerdienste übernehmen, im Monat eine „außertarifliche Zulage von 800 Euro“ angeboten. Damit liegt man über den monatlichen Zulagen des Klinikums.