Kanzler Olaf Scholz (SPD) beim Tag der Industrie in Berlin: Der Regierungschef warnt vor einer „dauerhaften Inflationsspirale“. Foto: dpa/Michael Kappeler

Angesichts von Krieg und Pandemie senkt der Industrieverband BDI seine Wachstumsprognose für 2022 auf nur noch 1,5 Prozent. Der Kanzler verspricht, entschlossen gegen die hohe Inflation vorzugehen.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Auswirkungen der Coronapandemie trüben die Aussichten für die deutsche Wirtschaft immer stärker ein. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) reduzierte am Dienstag seine Wachstumsprognose für das laufende Jahr drastisch: Der Verband rechnet jetzt nur noch mit einer Zunahme der Wirtschaftsleistung um 1,5 Prozent. Zum Jahresbeginn hatte der BDI noch ein deutliches Plus von 3,5 Prozent vorhergesagt.

Frühestens zum Ende dieses Jahres könne wieder das Vorkrisenniveau erreicht werden, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm in Berlin auf dem Tag der Industrie. Doch selbst diese Prognose sei noch mit größten Unsicherheiten belastet. Dafür müsse weiterhin russisches Gas nach Westeuropa fließen, so Russwurm weiter. „Die Reduzierung russischer Gasexporte besorgt uns“, sagte Russwurm. „Eine Unterbrechung hätte katastrophale Auswirkungen auf die Produzierende Industrie und würde unsere Wirtschaft unweigerlich in die Rezession schicken.“

Gaslieferungen stark gedrosselt

Der russische Gazprom-Konzern hatte in der vergangenen Woche die Erdgaslieferungen über die wichtige Pipeline Nord Stream 1 in Richtung Deutschland auf nur noch 40 Prozent der Maximalleistung gedrosselt. Als Grund nennt Gazprom technische Probleme. Die Bundesregierung ist hingegen überzeugt, dass dies eine Reaktion von Russlands Präsident Wladimir Putin auf die Unterstützung der Ukraine durch den Westen ist.

Noch ist die Gasversorgung in Deutschland gesichert. Die Bundesregierung befürchtet aber, dass es nicht gelingen könnte, die hiesigen Erdgasspeicher rechtzeitig bis zum Winter zu befüllen. Laut dem aktuellen Lagebericht der Bundesnetzagentur von Dienstag waren die Speicher zuletzt zu rund 58 Prozent gefüllt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plant, in den kommenden Monaten bei der Stromproduktion verstärkt auf klimaschädliche Kohlemeiler statt auf Gaskraftwerke zu setzen. Die Industrie soll mit Auktionen zum Gassparen animiert werden.

BDI-Präsident Russwurm betonte am Dienstag, dass der Auftragsbestand der Industrie auf Rekordniveau bleibe. Auch die Kapazitätsauslastung sei hoch. Die Produktion sei aber aufgrund der bestehenden Lieferengpässe – bedingt unter anderem durch die Null-Covid-Strategie Chinas – zum Teil erheblich beeinträchtigt. Vielerorts sei auch die Investitionstätigkeit ausgebremst.

Russwurm sagte, die Versorgungssicherheit für Energie, Rohstoffe und Basistechnologien habe sich als „Achillesferse“ des Industrielands Deutschlands herausgestellt. Die stark gestiegenen Preise für Energie und Rohstoffe heizten die Inflation an. Das spürten Bürger wie Unternehmen. Die Energiewende in Deutschland müsse beschleunigt werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte beim BDI-Kongress davor, dass die externen Schocks zu einer „dauerhaften Inflationsspirale“ führen. Um dies zu verhindern habe er Wirtschaft und Gewerkschaften zur „Konzertierten Aktion“ eingeladen. Der Auftakt solle am 4. Juli im Kanzleramt stattfinde. Die „Konzertierte Aktion“ ist eine Erfindung der späten 1960er Jahre, als der damalige SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller relevante Akteure der Wirtschaft zu makroökonomischen Steuerung an einen Tisch brachte.

Lindner pocht auf Rückkehr zu Schuldenbremse

Zurzeit steigen die Preise in Deutschland so schnell wie seit fast 50 Jahren nicht mehr. Im vergangenen Mai lagen die Verbraucherpreise um 7,9 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Finanzminister Christian Lindner (FDP) bekräftigte am Dienstag beim Tag der Industrie seine Auffassung, dass der Bund vom kommenden Jahr an wieder die Regeln der Schuldenbremse einhalten müsse, um die Inflation nicht noch weiter anzuheizen.