Der Esslinger Gemeinderat kommt das erste Mal in neuer Besetzung zu einer inhaltlichen Sitzung zusammen. Was lief gut, was nicht? Eine Analyse.
Esslingens neuer Gemeinderat wird erwachsen. Schwankte das Gremium in den vergangenen Jahren immer mal wieder zwischen Konfrontations- und Kuschelkurs gegenüber der Verwaltung, zeigte es am Montagabend in der ersten inhaltliche Sitzung nach den Wahlen ein souveränes Gesicht: Weitgehend sachlich, selbstbewusst, konstruktiv und kontrovers zugleich. Die Stadträtin, die diese Eigenschaften am Montagabend versinnbildlichte, war Annette Silberhorn-Hemminger von den Freien Wählern. Wäre eine Gemeinderatssitzung ein Fußballspiel, wäre sie aufgrund der Art, wie sie Anträge und Wortmeldungen vortrug, die Spielerin des Tages geworden.
Der Gemeinderat wird erwachsen
Was beispielsweise von einer gewissen Reife im Gremium zeugte: Die Fraktionen und die Ratsgruppe halten sich nicht mehr unbedingt an alte Lager, sondern gehen je nach Thema unterschiedliche Verbindungen ein. Offenkundig wird viel miteinander gesprochen. So schließen sich CDU, Grüne, SPD und Freie Wähler zusammen, um das preisgünstige Tagesticket wieder einzuführen. Auf der anderen Seite bilden FDP/Volt und Freie Wähler ein Bündnis, um frischen Wind ins Baurechtsamt zu bekommen – für den Fall, dass die Bauwirtschaft doch noch mal anzieht.
Auch die Bewertung des Falls FÜR Esslingen zeugte von Souveränität: Bei den Wahlen im Sommer schickte die Liste die relativ bekannte Dilek Toy ins Rennen, welche genügend Stimmen erhielt, um in den Gemeinderat einzuziehen. Nun scheidet sie aus persönlichen Gründen aus, doch ihre Nachrückerin will nun plötzlich nicht in den Gemeinderat und die Nachrückerin der Nachrückerin auch nicht. Stephan Köthe von der AfD witterte daher Betrug am Wähler: Man sei mit Personen in die Wahlen gegangen, um Stimmen zu sammeln. Doch womöglich hätten diese Kandidatinnen gar nicht vorgehabt, ihr Amt anzutreten. Obwohl ein Grummeln und leises Diskutieren im Ratssaal signalisierte, dass Köthe mit dieser Meinung nicht allein dastand, sprach es zunächst niemand offen aus, vielleicht, um nicht in den Verdacht zu geraten, in dieser Sache eine Meinung zu teilen, die aus den Reihen der AfD kommt. Silberhorn-Hemminger durchbrach dieses Schweigen und äußerste ihre Ansicht, die zwar in der Sache der Köthes ähnelte, aber deutlich als die eigene gekennzeichnet war.
Am Beispiel FÜR zeigte sich auch, dass diesem Gemeinderat noch eine schwierige Findungsphase bevorsteht, wenn es um den Umgang mit der AfD geht. Martin Auerbach, Fraktionschef von Linke/FÜR, versuchte das Vorgehen der FÜR-Nachrückerinnen zu entschuldigen: Es wolle ja nicht unbedingt jeder mit einer Nazi-Partei im Raum sitzen. Eine Provokation, die an dieser Stelle nicht wirklich passen wollte – rechtsextremistische Äußerungen waren während der Gemeinderatssitzung tatsächlich nicht einmal im Ansatz zu vernehmen.
Nicht hochprofessionell, aber lebendig
Während dieser ersten inhaltlichen Sitzung holperte es ab und zu, etwa, als für eine Weile nicht ganz klar war, wie man kommunalrechtlich mit einer Anzahl von Anträgen umzugehen hatte. Auch die Sitzungsleitung geriet hier kurz ins Schwimmen. Gleichzeitig zeigte diese Phase aber auch, wie ein solches Gremium mit den Rathausvertretern, also den Bürgermeistern, an schwierigen Aufgaben wachsen kann. Nach etwas hin und her wurde gemeinsam eine Lösung gefunden, mit der sowohl die Verwaltung als auch der Gemeinderat leben konnten.
Unterm Strich wirkte diese Gemeinderatssitzung nicht immer hochprofessionell, war aber äußerst lebendig. Für die meisten der Zuhörer dürfte sie eine Einladung gewesen sein, wiederzukommen.