Als sie ein Teenager war, fand unsere Autorin ihre Mutter oft sehr peinlich. Nun geht es ihr genauso mit den eigenen Kindern. Nicht nur deshalb leistet sie still Abbitte bei der Mutter.
Als meine Mutter 46 Jahre alt war und ich ein pubertierendes Gör, fand ich sie unvorstellbar alt und oft sehr peinlich. Wenn sie um Mitternacht mit dem Daimler vor der Dorfdisse wartete zum Beispiel. Wenn sie mich vor halbstarken Zeugen aufforderte, zwecks Vermeidung von Ohrenweh eine Mütze aufzusetzen, oder unangekündigt als Teilnehmerin in meinem Step-Aerobic-Kurs (damals der heiße Scheiß!) auftauchte.
Überhaupt diese Verjüngungsversuche mittels unangemessener Kleidung (Seidenstrümpfe mit Tigermuster) und Orte! Einmal versuchte sie doch tatsächlich mit anderen entfesselten Müttern, in einen Ulmer Club eingelassen zu werden, wo mir Menschen jenseits der 30, also kurz vor dem Greisenalter, so deplatziert erschienen wie zweihundertjährige Schildkröten – mindestens. Dass der Türsteher sie abwies, war für mich nur folgerichtig, was ich ihr in einer Erbarmungslosigkeit kundtat, wie sie vielleicht nur Töchter und Mütter miteinander pflegen können. Offenbar erschien mir die Mutter dann peinlich und ein bisschen bemitleidenswert, wenn sie sich anders verhielt, als es sich für Erwachsene gehörte: nämlich hochseriös oder – anders gesagt – todlangweilig. Mit Betonung auf Tod.
Jetzt bin ich selbst fast 46 Jahre alt
Ich bin jetzt bald 46 und habe in den letzten Jahren sehr oft stille Abbitte bei meiner Mutter geleistet. Zwar sind meine Kinder noch nicht in der Pubertät, aber kurz nach dem Windelalter in eine Art Vorhölle dazu eingetreten. Jedenfalls falle ich ihnen schon heute mit hinterhergetragenen Mützen und unangemessenen Fragen vor Zeugen („Hast du schon Kacka gemacht?“) oft unangenehm auf. Auch dann, wenn ich, offenbar größenwahnsinnig geworden, beim Eltern-Kind-Kick mitspiele und zwischen elfjährigen Fußballmaschinen und überambitionierten Vätern die Figur einer zweihundertjährigen Schildkröte auf dem Stepper abgebe – mindestens: Nähert sich ein Ball, ist die Alte flugs im Panzer verschwunden.
In Kinderaugen lächerlich auch meine Tanzanstalten beim geselligen Abend im Vereinsheim zu Musik aus dem letzten Jahrtausend. Was ist verstörender: Die mütterlichen Jane-Fonda-Aerobic-Video-Verrenkungen oder dieser Liedtext über eine Rosi im Freudenhaus, die man am Wählscheibentelefon erreichen kann?
Noch immer nicht erwachsen
Neben diesen Reflexionen aus dem kindlichen Peinlichkeits-Spiegel, weiß ich mittlerweile, wie es ist, die 40 hinter sich zu lassen. Wie unerwachsen man sich weiterhin fühlt, während sich die Verfallserscheinungen auf dem Körper ausbreiten, flink wie Rennschildkröten. Wie gut es sich anfühlt, dem Alterungsprozess eins auszuwischen – und sei es nur mit Tigerstrumpfhosen oder Club-Besuchen. Und was für ein A.... dieser Türsteher des Ulmer Clubs seinerzeit war!
Im Roman „Muttersuchen“, der mit den Ambivalenzen eines Mutter-Tochter-Verhältnisses spielt, steht ein Zitat des Autors Marco Bolzano: „Je mehr Jahre vergehen, umso weniger fühlt man sich seinen Eltern überlegen.“ Bolzano ist übrigens auch 46.
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Lisa Welzhofer hat zwei Kinder (7 und 10 Jahre alt) und ist jeden Tag baff, wie großzügig die beiden über ihre Fehler als Mutter hinwegsehen.