Versuchte Vergewaltigung? Auch Hendrick Goltzius kostete das Susanna-Motiv 1607 voyeuristisch aus. Foto: Musée de la Chatreuse, Douai/Béatrice Hatala

Kein Motiv wurde so oft gemalt und verfilmt wie Susanna, die von zwei alten Männern bedrängt wird. Eine kluge Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum verrät auch, warum es heute so viele Metoo-Fälle gibt.

Sie hat sich standhaft geweigert. Als sich zwei lüsterne alte Richter über Susanna hermachen wollen, wehrt sie sich. Das wird ihr zum Verhängnis. Die Männer zeigen sie an wegen angeblichen Ehebruchs – und Susanna wird zum Tode verurteilt. Auch wenn die Wahrheit in der biblischen Geschichte letztlich ans Licht kommt und es die Alten sind, die hingerichtet werden, so bleibt Susanna doch auf ewig ein Opfer, dessen nackter Körper von Milliarden Voyeuren beglotzt und begafft wurde. Denn das moralische Lehrstück der „Susanna im Bade“ ist zu einem der beliebtesten Pornos der Kunstgeschichte geworden.

Die alte Kunst gibt Einblicke in heutige Köpfe

Im Kölner Wallraf-Richartz-Museum kann man nun aufs Schönste die blanken Brüste und die herrlich weiße Haut der jungen Frau bestaunen, ihre Schenkel studieren, die die Maler je nach persönlicher Vorliebe mal schlanker, mal draller ausgestaltet haben. „Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo“ nennt sich eine Ausstellung, die extrem interessant und sehenswert ist – und zwar nicht nur, weil hier Begehren mit köstlicher Malerei gekitzelt wird. Der Streifzug durch die Jahrhunderte macht erschreckend deutlich, dass sich das Motiv wie nebenbei in die Köpfe zahlloser Generationen eingebrannt hat – und das Geschlechterverhältnis bis heute prägt.

Für die Gerichtsszene hat sich kaum ein Maler interessiert

Denn auch wenn in der biblischen Erzählung der Prophet Daniel auftaucht, die Richter getrennt befragt, bis sie sich in Widersprüchen verheddern, so war es nicht dieser Teil der Geschichte, der die Maler interessierte. 1790 wird in Paris zwar ein Wettbewerb ausgeschrieben zum Thema „Daniel lässt die Alten festnehmen“. Es blieben aber Ausnahmen. Der Streifzug durch die Epochen zeigt eindeutig, dass das Gros der Künstler lieber den sexuellen Übergriff ins Visier nahm. Und der hat es oft in sich.

Die Männer sehen harmlos aus

Antonio Leoni, ein Venezianer, der in Düsseldorf bei Hofe tätig war, war einer der wenigen, der die zwei Alten als hässliche Kerle darstellte. Sie kichern dümmlich und gierig, als sie wie Lausbuben über die Mauer zur badenden Susanna klettern. In der Regel bleiben die Täter aber im Dunkeln. Falls man sie doch sieht, sind es bärtige Männer, die so unbeteiligt und seriös wirken, dass man kaum auf die Idee käme, dass hier eine Frau vergewaltigt werden soll.

Die rohe Gewalt wird verharmlost

Wo man auch hinschaut bei diesen zahllosen ähnlichen Motiven: Fast immer wird man als Betrachter selbst zum Voyeur gemacht, denn die Dramaturgie der Gemälde rückt stets die nackte Susanna ins Zentrum der Komposition und leuchtet ihren blanken Leib so aus, dass der Blick gezielt darauf gelenkt wird.

Die Gewalt wird auf den Bildern zur harmlosen Erotik, selbst dort, wo gegrapscht und an Stoffen gezerrt wird. Man sieht Finger so nah an der Brustwarze, dass die Berührung fast körperlich zu spüren ist. Goltzius hat 1607 neben die Szene einen Brunnen gemalt, aus dem sich das Wasser weißlich ergießt. Wehe, wer Übles dabei denkt. Und Susanna? Auch als der Alte bei Gortzius Geldorp nach ihrer Brust greift, bleibt sie völlig ungerührt. Immer wieder sieht man die Nackte, wie sie den Blick gen Himmel verdreht – und neben der offiziellen Lesart, dass sie auf göttliche Rettung hofft, kann man den verklärten Blick durchaus auch als Ekstase deuten.

Susanna wehrt sich nicht – was man als Einverständnis lesen kann

So reproduziert dieses Motiv letztlich auf besonders hinterhältige Weise eine Vorstellung von Sex, bei der nicht der junge Körper Lust weckt, sondern der Übergriff. Der moralische Appell liefert den Vorwand, um sich an den Missetaten zu ergötzen. Damit haben diese Bilder maßgeblich ein Rollenverständnis manifestiert vom drängenden Mann und der keuschen Frau, die zur Lust gezwungen werden muss.

Das Motiv geistert bis heute durch die Bilderwelt

Vermutlich waren es diese Ambivalenzen, weshalb die Erzählung seit nunmehr 2000 Jahre durch die Kulturgeschichte geistert. Bereits 200 nach Christus wurde sie in ordentlicher Schrift mit Tinte auf Papyrus geschrieben. Die Geschichte wurde gemalt, in Elfenbein geschnitzt und im 17. Jahrhundert sogar auf einem wuchtigen Schrank mit Skulpturen dargestellt, um die Dame des Hauses zur Treue zu ermahnen.

Bei Alfred Hitchcock steht Susanna in der Dusche

Darstellungen, bei denen sich Susanne wehrt, gibt es, aber sie sind selten – und meist halbherzig. Immerhin hat Rembrandt den üblichen Voyeurismus nicht bedient und zeigt Susanna nur von hinten. Bei Guido Reni hat sie einen energischen Blick, und bei Van Dyck ist sie ängstlich erschrocken. Damit wurde einerseits die verzweifelte Lage zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig wurde aber auch der Weg geebnet für ein Motiv, das heute in Krimis, Thrillern und Pornos gleichermaßen ausgeschlachtet wird und sich lustvoll ergötzt an der Frau in Todesangst.

Daran hatte vor allem Alfred Hitchcocks Filmklassiker „Psycho“ (1960) seinen Anteil, in dem der Spanner und Mörder sein heimliches Guckloch mit einem Susanne-Gemälde verdeckte. Auch er trifft sein Opfer im Bad und ersticht es in der Dusche. Die harmlose Erotik früherer Generationen hat ihren süßen Schauder verloren, heute braucht man stärkere Reize. Übrigens ist Hitchcocks Duschmord bis heute die am häufigsten zitierte Filmsequenz.

Das Motiv ist bis heute präsent

Medien
Auch in Zeitschriften fand die Badezimmerszene Niederschlag: Das Magazin „Le Sourire“ hatte schon 1922 eine Nackte im Bad auf den Titel, die sich kokett mit ihrem Pelzmantel bedeckt, während die Hotelpagen nicht ganz heimlich zuschauen. Hitchcocks „Psycho“ wurde auch als Comic veröffentlicht – samt Mord in der Dusche.

Ausstellung
bis 26. Februar im Wallraf-Richartz-Museum Köln, geöffnet Di bis So 10 bis 18 Uhr, 1. und 3. Donnerstag im Monat 10 bis 22 Uhr.