Die grün-schwarze Koalition hat am Mittwoch ihr Programm in der Arena 2036 in Stuttgart vorgestellt – deren Klimapaket finden viele Klimaschützer im Grundsatz gut, äußern aber im Detail viele Kritikpunkte. Foto: dpa/Bernd Weissbrod

Das Klimaschutzprogramm der grün-schwarzen Landesregierung hat bei Experten und Aktivisten viele positive Reaktionen hervorgerufen. Aber vor allem der Finanzierungsvorbehalt wird harsch kritisiert – wir stellen die wichtigsten Äußerungen zusammen.

Stuttgart - In den vergangenen Jahren war die Reaktion von Klimaschützern auf politische Pläne zur CO2-Reduzierung stets dieselbe. Der Tenor war immer: Das reicht nicht, das dauert zu lange, das sind die falschen Maßnahmen. Umso überraschender sind nun doch auch viele positive Reaktionen auf das Klimapaket, das die neue grün-schwarze Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vorgestellt hat.

Nicht alle Wünsche von Fridays for future wurden erfüllt

Der baden-württembergische Zweig von Fridays for future hatte nach der Wahl eine Liste von Forderungen an die Grünen und die CDU gestellt – viele davon tauchen nun tatsächlich im Koalitionsvertrag auf. Dazu gehört etwa die Gründung eines Rats der Klimaweisen, analog zum bestehenden Rat der Wirtschaftsweisen, oder auch die Einführung eines Klimavorbehalts bei allen Förderprogrammen und Bauvorhaben des Landes. Dagegen finden sich das geforderte Sofortprogramm für das Klima sowie eine Novelle des Klimaschutzgesetzes noch in diesem Jahr nicht dezidiert im Koalitionsvertrag.

Jule Pehnt von Fridays for future würde deshalb das Regierungspaket auf einer Skala von eins bis zehn nur bei fünf oder sechs ansiedeln. Viele Ansätze seien gut, aber zu unkonkret oder würden nicht mit einem klaren Zeitplan versehen. So sei das 1,5-Grad-Ziel nicht konkret an ein CO2-Budget gekoppelt. Auch im Energiesektor oder bei der Wärmeplanung bleibe vieles zu vage. Im Sommer werde man deshalb wieder auf die Straße gehen, sofern die Pandemie dies erlaube, kündigte Jule Pehnt an.

Der Nabu ist „einigermaßen begeistert“

Johannes Enssle, der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu), sagt: „Nach erster Durchsicht der umweltrelevanten Kapitel des Koalitionsvertrages bin ich einigermaßen begeistert. Wenn Grüne und CDU all diese Punkte tatsächlich umsetzen, ist das wirklich ein neuer Aufbruch für Baden-Württemberg“. Besonders hebt Enssle folgende Ziele hervor: Klimaneutralität bis 2040, Kohleausstieg bis 2030, die Solardachpflicht für Wohngebäude sowie die Ausweisung von Vorrangflächen für Windenergie und Fotovoltaik auf zwei Prozent der Landesfläche – all das seien wichtige Voraussetzungen, um im Klimaschutz deutlich schneller voranzukommen als bisher.

Allerdings kritisiert Enssle, dass alle Maßnahmen unter einem Finanzierungsvorbehalt stünden. Auch wenn dies angesichts der enormen Kosten der Corona-Pandemie verständlich sei, so müsse man doch sehen, dass unterlassener Klima- und Naturschutz für die künftigen Generationen noch viel teurer würde als frühzeitiges und konsequentes Handeln.

BUND hat gegen die Schuldenbremse protestiert

Ganz ähnlich sieht es auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). „Wir freuen uns sehr, dass die Koalitionäre Baden-Württemberg zum Klimaschutzland machen wollen“, betont Sylvia Pilarsky-Grosch, die BUND-Landesvorsitzende: „Uns ist allerdings schleierhaft, wie das mit einer Schuldenbremse vereinbar sein soll.“ Man sehe doch beispielsweise in der Land- und Forstwirtschaft, dass schon heute der Klimawandel zu teuren Schäden führe. Der BUND hat deshalb bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages am Mittwoch in Stuttgart vor der Arena 2036 gegen die Schuldenbremse protestiert.

Hart ins Gericht geht der BUND mit den Klimazielen im Bereich der Mobilität. Hier sei man nur im Sparmodus unterwegs, kritisiert Klaus-Peter Gussfeld, der BUND-Mobilitätsreferent: „Zwar werden wichtige Bausteine zur Umsetzung einer nachhaltigen Verkehrspolitik wie Investitionen für Bahnen und Busse sowie für den Rad- und Fußverkehr im Koalitionsvertrag verankert, doch das Thema Straßenbau und Autoverkehr ist die Achillesferse der künftigen Verkehrspolitik.“ Es werde immer noch zu viel Geld in den Bau von Straßen investiert.

Energieverband fordert starken Ausbau der Fotovoltaik

Jörg Dürr-Pucher, der Vorsitzende der Plattform Erneuerbare Energien Baden-Württemberg, betont: „Den Worten müssen zügig Taten folgen, es muss mehr für den Ausbau der erneuerbaren Energien getan werden.“ Diese Plattform ist eine Dachorganisation der Verbände, Unternehmen und Forschungsinstitute aus der Erneuerbaren-Energien-Branche in Baden-Württemberg. Auch Dürr-Pucher lobt das Klimapaket aber im Grundsatz sehr: „Die neue Landesregierung stellt die Weichen in Richtung Klimaschutzland richtig. Klimaneutralität bis 2040 gilt nun als verbindliche Zielmarke.“

Nun müsse aber die Landesregierung dafür sorgen, dass der Blockadekurs von vielen Kommunen, Landkreisen und Regionalverbänden beim Ausbau von Windkraft und Fotovoltaik gestoppt werde, so Dürr-Pucher weiter. Denn Solar- und Windenergie trügen die Hauptlast des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Die Plattform fordert aber auch bei der Tiefengeothermie und im Bereich der Holzenergie massiv in den Ausbau von Kapazitäten zu investieren. „In Baden-Württemberg müssen in den nächsten Jahren etwa zehn Holzkraftwerke und weitere zehn Tiefengeothermiekraftwerke gebaut werden. Damit kann die Wärmewende massiv vorangetrieben werden“, sagt Dürr-Pucher. Bei der Solarenergie sei ein jährlicher Zubau von 1000 Megawatt Leistung notwendig – im vergangenen Jahr waren es 600 Megawatt.

Klimaliste hält das grün-schwarze Paket für Mogelpackung

Die Klimaliste Baden-Württemberg, die auch bei der Landtagswahl angetreten war, aber nur 0,9 Prozent der Stimmen erhalten hatte, spricht dagegen von einem Desaster bezüglich des Koalitionsvertrages. Sie bemängelt vor allem, dass die Landesregierung trotz des drängenden Klimaproblems an ihrer Schuldenbremse festhalten wolle. In einer Stellungnahme heißt es: „Der Haushaltsvorbehalt ist und bleibt ein klares Signal gegen wirksamen Klimaschutz. Die Hintertür, die sich Grün-Schwarz mit dem destruktiven Finanzierungsargument offengelassen hat, ist größer als ein Scheunentor. So droht die Ansage, dass Baden-Württemberg das ‚Klimaschutzland Nummer eins in Deutschland und Europa’ werden soll, eine Werbebotschaft ohne Substanz zu bleiben.“