Mit Plakaten wie diesen demonstrierten rund 500 Menschen in Tübingen gegen die Kitapläne der Stadtverwaltung. Foto: GEB/GEB

Der Fachkräftemangel trifft auch Tübingens Kitas. Die Stadt will das System rigoros umstellen, weniger Kitas sollen dann ganztags offen sein. Die Eltern sind auf den Barrikaden. 

Schließung von kleinen, eingruppigen Kitas, Staffelung der buchbaren Betreuungszeiten und weniger Kitas, die bis 16.30 oder 17.30 geöffnet haben. Mit Veränderungen wie diesen in ihren städtischen Kitas will die Stadt Tübingen auf den anhaltenden Fachkräftemangel reagieren. Derzeit fehlten rund 80 Erzieherinnen und Erzieher in den Einrichtungen, das sind etwa 9 Prozent der Stellen. Laut Manfred Niewöhner vom Fachbereich Bildung und Betreuung erfüllen derzeit nur noch drei der 43 städtischen Kinderhäuser den vorgeschriebenen Mindestpersonalschlüssel.

Zuletzt hatte die Stadtverwaltung auf die Personalnot mit der Sperrung von rund 350 Plätzen sowie kürzeren Öffnungszeiten reagiert, nun wolle man die Kitalandschaft so aufstellen, dass der Mindestpersonalschlüssel wieder gewährleistet ist und die angebotenen Öffnungszeiten eingehalten werden können, sagt Niewöhner. Eine entsprechende Beschlussvorlage wurde im Tübinger Gemeinderat diese Woche auf den 6. Februar vertagt.

Eine wohnortnahe Kita bis 16.30 Uhr

Darin schlägt die Stadtverwaltung ein System vor, in dem Eltern wahlweise eine Betreuung von 7.30 bis 13.15, 14.30, 15.30, 16.30 oder 17.30 Uhr buchen können. Allerdings bieten nicht alle Kitas alle Varianten an, weniger Einrichtungen als heute werden lang offen haben. „Eltern sollen wohnortnah eine bis zwei Kitas haben, die bis 16.30 Uhr offen sind“, erklärt Niewöhner. Bis 17.30 Uhr sollen nur noch zwei oder drei Kitas im ganzen Stadtgebiet zur Verfügung stehen. „Das kann für Eltern, die eine so lange Betreuungszeit brauchen, längere Fahrtwege bedeuten“, räumt Niewöhner ein. Wie viele der 43 Kitas welche Buchungszeiten in Zukunft anbieten werden, würde derzeit noch erarbeitet.

Er ist sich sicher, dass das neue System den Bedarf der Eltern erfüllen kann. Dabei stützt er sich auf eine Nutzerfrequenzanalyse (NFA) in den Tübinger Kitas aus dem Jahr 2019. Diese hatte damals ergeben, dass nur 46 Kinder in ganz Tübingen eine Betreuung bis 17 oder 17.30 Uhr nutzen. 276 Kinder waren damals bis 16.30 Uhr in den Kitas, 630 bis 15.30 Uhr.

Eltern befürchten, nicht mehr arbeiten zu können

Der Gesamtelternbeirat (GEB) Tübingen kritisiert die NFA wie die gesamte Planung der Stadtverwaltung. Seit 2019 hätten sich die Bedarfe der Eltern geändert, sagt die Vorsitzende Maria Tiede, außerdem würden zum Beispiel Fahrtwege der Eltern nicht berücksichtigt. Die Elternvertreter bezeichnen die Pläne als „sozial unausgewogen und einseitig die Familien belastend“. Der GEB hat ausgerechnet, dass bei dem bestehenden Personal ein Großteil der Kitas nur noch eine Betreuung bis 13.15 Uhr anbieten könnte.

Neben der „Umverteilung von Kitakindern“, die dann anstehe und für Familien „gravierende Einschnitten in den Alltag bedeute“, befürchten die Eltern, dass vor allem Mütter und Alleinerziehende weniger arbeiten könnten, wenn die Öffnungszeiten systematisch verkürzt würden und sie keinen wohnortnahen Ganztagsplatz finden. Anstatt das Kitasystem zu verändern, sollte die Stadt mehr für die Fachkräftegewinnung tun, Quereinsteiger, Studenten, FSJler einstellen und die jetzigen Kräfte von Verwaltungsarbeit befreien.

Eltern müssen Arbeitszeit nachweisen

Manfred Niewöhner weist darauf hin, dass weiterhin 120 Plätze bis 17 und 17.30 Uhr zur Verfügung stehen sollen. Außerdem werde man im Frühjahr die Bedarfe jetziger und zukünftiger Kitakinder-Eltern abfragen und gegebenenfalls nachbessern.

Allerdings reicht beim Nachweis des Betreuungsbedarfs in Zukunft nicht mehr das Wort der Eltern. Ab diesem Herbst sollen sie in Tübingen nachweisen, wie lange sie arbeiten. Wenn beide berufstätig sind, erhöht das die Chancen auf einen Kitaplatz. Ebenso, wenn man alleinerziehend ist oder das Kind einen Förderbedarf hat.

Oberbürgermeister Boris Palmer hat nun den Eltern, die gegen die Beschlussvorlage im Gemeinderat auf dem Marktplatz demonstriert hatten, ein Gespräch mit ihm und Vertretern der Stadtverwaltung am 3. Februar angeboten.