Immer mehr Menschen kehren der Kirche den Rücken. Den meisten fehle dadurch im Leben nichts nichts, räumt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz ein. Für die Kirche aber hat es drastische und vor allem finanzielle Folgen.
Jedes Jahr treten Hunderttausende aus der katholischen Kirche aus. Dieser Aderlass belastet zunehmend auch die kirchlichen Finanzen. „Wir merken, dass diese Konsequenzen sich in den Diözesen jetzt finanziell sehr deutlich zeigen“, sagte die Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz, Beate Gilles, zum Auftakt der viertägigen Herbstvollversammlung der Bischöfe in Fulda.
Bischof Bätzing: Säkularisierung schreitet voran
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, konstatierte in seiner Predigt im Eröffnungsgottesdienst: Die Säkularisierung – die Entkirchlichung – der Gesellschaft sei weit fortgeschritten.
„Immer noch argumentieren wir, die Menschen hätten in ihrem tiefsten Inneren doch eine Sehnsucht nach Gott, sie seien suchend unterwegs. Tatsache aber ist, dass den meisten nichts fehlt, wenn sie ohne Religion und Glauben ihr Leben gestalten“, räumte der Limburger Bischof ein. „Sie tun es in der Regel verantwortungsvoll, mit Respekt für andere und engagiert.“ Gott als Grund ethischer Entscheidungen falle für gewöhnlich aus.
Mehr als 400 000 Austritte allein 2023
Allein im vergangenen Jahr waren in Deutschland mehr als 400 000 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten – etwas weniger als im Negativrekord-Jahr 2022. Damals hatten mehr als eine halbe Million Menschen der Kirche den Rücken gekehrt. Aktuell gehören noch 20,3 Millionen Menschen der katholischen Kirche an. Die 20-Millionen-Marke könnte im laufenden Jahr aber erstmals unterschritten werden.
Auch angesichts der hohen Zahl an Austritten läuft derzeit eine Diskussion darüber, ob die sogenannten Staatsleistungen an die Kirche beendet werden sollten. Die katholische und die evangelische Kirche bekommen diese Zahlungen wegen der Enteignung deutscher Kirchen und Klöster Anfang des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Säkularisierung.
Außer Bremen und Hamburg zahlen deshalb alle Bundesländer eine jährliche Summe an die katholische und die evangelische Kirche. Zuletzt waren es bundesweit insgesamt rund 550 Millionen Euro pro Jahr.
Staatliche Dotationen auf dem Prüfstand
Mit Dotationen (Zuwendungen) – also Staatsleistungen – in Höhe von rund 550 Millionen Euro haben 14 der 16 Länder aus Steuermitteln die beiden großen Kirchen finanziert.
Dies hat historische Gründe: Als die Reichskirchen 1803 im Zuge der Säkularisation – des sogenannten Hauptschluss der außerordentlichen Reichsdeputation, beschlossen am 25. Februar 1803 in Regensburg – enteignet und ihre Besitztümer den weltlichen Fürsten zugeschlagen wurden, verpflichtete sich der Staat zu „Pachtersatzleistungen“. Seitdem sichert er zum Teil die Besoldung des Klerus und kommt für bestimmte Baulasten auf.
Die Weimarer Verfassung von 1919 und das Grundgesetz von 1949 haben diese Regelung übernommen, zugleich aber die Ablösung dieser Staatsleistungen angemahnt.
Einmalzahlung käme sehr teuer
Die Zahlungen könnten gegen eine einmalige Entschädigung aufgehoben werden. Als Einmalzahlung wurde beispielsweise der zehnfache Jahresbetrag – derzeit also rund 5,5 Milliarden Euro – vorgeschlagen. Rechtsexperten halten eher das 20- oder 25-Fache der Jahresüberweisung als Einmalzahlung für erforderlich. Zahlen müssten die Länder. Das aber ist kaum zu leisten.
Ohne die Einwilligung der beiden Kirchen können die Uralt-Verträge ohnehin nicht geändert werden. Zwar streben Katholiken und Protestanten eine Entflechtung des Verhältnisses zum Staat an, aber nur ohne finanzielle Einbußen.
Ampel will Gesetzentwurf vorlegen
Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP will noch in diesem Herbst einen Gesetzentwurf zur langfristigen Abschaffung von Staatsleistungen an die Kirchen vorlegen, obwohl die Bundesländer das Projekt ablehnen. Die Reform soll so gestaltet werden, dass der Bundesrat nicht zustimmen müsste.
Bätzing sagte dazu, das Thema werde bei der Vollversammlung bis Donnerstag keine große Rolle spielen. „Wir sind gesprächsbereit, wir sind auch einbezogen in die Gespräche, aber wir sind nicht die Akteure“, stellte er klar. „Deshalb kann es auch keinen Kompromissvorschlag unsererseits geben.“ Die Bischöfe seien offen für eine Lösung, diese müsse aber mit den Ländern und den Kirchen gut abgestimmt sein. „Nur in dieser Drehangel, glaube ich, ist da eine Lösung zu finden.“
Keine deutschen Frauen nach Rom
Ein wichtiges Thema für Katholiken ist derzeit die im nächsten Monat anstehende Weltsynode in Rom. Bätzing kritisiert, dass dazu keine Frauen aus Deutschland eingeladen worden sind. „Ich bedaure das sehr, dass keine Frau aus Deutschland berufen worden ist, zumal sich ja vieles nahegelegt hätte durch unsere gemeinsame Arbeit im Synodalen Weg, wo sich profilierte Personen, Frauen auch gezeigt hatten“, erklärte der Limburger Oberhirte. Der Synodale Weg ist der Reformprozess der deutschen Katholiken, der im Vatikan viel Misstrauen hervorgerufen hatte.
Unter den 360 Teilnehmern der römischen Weltsynode sind erstmals auch katholische Laien, darunter etwa 50 Frauen. Die Deutsche Bischofskonferenz hatte auch Frauen aus Deutschland vorgeschlagen, darunter die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter Karp.
„Aber der Papst ist frei in seinen Berufungen, die er zusätzlich zu den gewählten Mitgliedern der Bischofskonferenzen beruft, und hat das bedauerlicherweise nicht getan“, betonte Bätzing. Die Weltsynode hatte im vergangenen Jahr erstmals getagt und soll Ende Oktober mit der zweiten Runde der Beratungen abgeschlossen werden.
Info: Säkularisierung
Saeculum
Das Wort Säkularisierung leitet sich ab vom lateinischen Begriff „Saeculum“ – Zeit, Zeitalter. Säkularisierung meint die Verweltlichung der Welt, die Abkehr vom Glauben an ein Jenseits und Lockerung religiöser Bindungen. In Deutschland sind der soziale Bedeutungsverlust der Religion und die schleichende Entchristlichung und Entkirchlichung seit Mitte der 1960er Jahre unverkennbar.
Kirchen
Die christlichen Kirchen hatten ihre beste Zeit in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) und des Wiederaufbaus. Die Gotteshäuser waren voll, das Wort der Pfarrer hatte Gewicht, die Menschen erhofften sich von ihnen karitative Hilfe und geistige Orientierung. 1960 war mit durchschnittlich fast zwölf Millionen Katholiken, die Sonntags die Messe besuchten, statistisch gesehen der Höhepunkt erreicht (Protestanten gehen traditionell sehr viel seltener zum Gottesdienst). Danach ging es kontinuierlich bergab. 2023 waren es nur noch 1,3 Millionen katholische Gläubige, die die Sonntagsmesse feierten.
Entchristlichung
Damit einher geht eine schleichende Entchristlichung der Gesellschaft. Das Modell der Volkskirche verliert rapide an Akzeptanz und Vitalität – wenn es nicht schon längst überholt ist. Die Kirchenbindung erodiert, das Glaubensleben erlahmt, das christliche Profil verblasst. „Die empirische Evidenz, die für die Gültigkeit der Säkularisierungsthese spricht, ist überwältigend“, erklärt der Religions- und Kultursoziologe Detlef Pollack.
Distanz
Der religiöse Wandel in pluralistischen Gesellschaften lasse sich nicht mit Hilfe eines einzigen Mottos oder Theorems beschreiben, erläutert der evangelische Theologe Reinhard Hempelmann. „Bezeichnend ist vielmehr die Gleichzeitigkeit, das Nebeneinander gegenläufiger Entwicklungen: Religionsdistanz und Wiederkehr der Religion, Relativierung und Fundamentalisierung religiöser Wahrheiten, Individualisierung und neue Gemeinschaftsbildung“.