Hell und gemütlich: So sieht es im Inneren einer Jurte aus. Foto:  

Der Naturkindergarten in Kirchheim unter Teck (Kreis Esslingen) ist fast fertiggestellt. In den hellen jurtenförmigen Bauten riecht es nach Holz. Das Wasser zum Händewaschen kommt nicht aus der Leitung. Was das Konzept noch so besonders macht.

Noch wird in drei Jurten gesägt, geschraubt und geölt. Eine aber ist schon fertig – und Kirchheims Oberbürgermeister Pascal Bader ist begeistert von dem lichtdurchfluteten Raum, in dem es nach frischem Holz riecht. Es ist behaglich warm und urgemütlich. „Hier können sich Kinder richtig wohlfühlen.“

Das ist wichtig. Denn anders als in klassischen Naturkindergärten, die oft nicht mehr sind als ein Bauwagen auf der grünen Wiese, soll sich das Leben im neuen Jurten-Kindergarten auf dem Schafhof zwar vor allem im Freien, aber eben auch drinnen abspielen. Diese Mischung aus Haus- und Naturkindergarten gebe es weit und breit nirgends, sagt der Rathauschef sichtlich stolz und spricht von einem „wegweisendem Projekt“, das die Teckstadt gemeinsam mit der Firma Living Cicles aus Schwäbisch Gmünd umsetzt.

Der Bau des Naturkindergartens, alles in allem 5,6 Millionen Euro teuer, hat im Juni vergangenen Jahres begonnen. Inspiriert von der Form eines mongolischen Zeltes wurden vier kreisrunde Gruppenräume aus nachhaltigen Materialien errichtet. Alle sind mit Pellet-Öfen ausgestattet. Ergänzt wurden sie jeweils um zwei bis drei zusätzliche Funktionsräume, den „Sternspitzen“, in denen sich Garderoben, Sanitärbereiche, Schlafräume, Wickelzimmer, Büros und eine große Küche befinden. Die gesamte Ausstattung lässt sich beliebig verstellen und verschieben.

Eine der vier Gruppen ist für Kleinkinder reserviert

„Seit einer Woche sind die ersten fünf Kinder in der Eingewöhnung“, berichtet Kita-Leiterin Siomara Peinecke. Künftig sollen 72 Kinder im Alter von zwei Jahren bis zum Grundschuleintritt betreut werden. Und damit wäre die Kirchheimer Einrichtung nach Angaben der Stadtverwaltung die größte ihrer Art in Baden-Württemberg. Während Natur- oder Waldkindergärten in der Regel nur ein bis zwei Gruppen haben, sind es im Jurten-Kindergarten auf dem Schafhof vier. Und eine davon ist für Kleinkinder reserviert – auch das ist Neuland.

Vier Jurten für vier Gruppen: Der Naturkindergarten ist mit 72 Plätzen der größte in Baden-Württemberg. Foto: Rudel/Markus Brändli

Wie die zuständige Bürgermeisterin Christine Kullen erläutert, habe es einiges an Überzeugungsarbeit gebraucht, um vom Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) eine Betriebserlaubnis für einen so großen Naturkindergarten zu erhalten. Denn als die Planungen für das Projekt im Jahr 2022 konkret wurden, galten noch strengere Vorgaben.

Den Weg ebnete schließlich der Landtag im Dezember 2023 mit der Einführung eines sogenannten Erprobungsparagrafen. Damit können Kita-Träger individuelle Lösungen entwickeln und bis zu drei Jahre lang testen. Mit dieser Regelung ist die Hoffnung verbunden, dass mehr Kita-Plätze geschaffen sowie ausreichende Betreuungszeiten angeboten werden können.

Der Jurten-Kindergarten bietet verlängerte Öffnungszeiten und ein besonderes pädagogisches Konzept an. Im Mittelpunkt steht die Verbindung zwischen Mensch und Natur. Die ganzheitliche Entwicklung der Kinder wird durch praktische Erfahrungen gefördert: Ob beim gemeinsamen Kochen mit Kräutern aus dem eigenen Anbau oder beim Spielen auf der angrenzenden Streuobstwiese und im nahen Wald – schon den Jüngsten werden ökologische Kreisläufe vermittelt. Sie lernen, verantwortungsbewusst mit Ressourcen umzugehen.

Spielsachen aus Kunststoff sucht man vergebens

„Bei uns kommt das Wasser nicht etwa aus dem Wasserhahn“, erläutert Peinecke und zeigt auf die Waschbecken, über denen sich Glasbehälter befinden, die immer wieder neu befüllt werden müssen.

„Da sieht man beim Händewaschen gleich, wie viel Wasser verbraucht wird.“ Es verschwindet auch nicht einfach im Abfluss, sondern wird aufgefangen und in die kleine Pflanzenkläranlage geschüttet.

Kita-Leiterin Siomara Peinecke erklärt Oberbürgermeister Pascal Bader (links) und Christoph Kerner ,Abteilungsleitung Technische Infrastruktur, die Handwaschbecken.

Spielsachen aus Kunststoff sucht man in diesem Kindergarten vergebens, auch vor den Jurten gibt es kein Plastikgerät. Stattdessen Bäume und Beete, Sandkasten und Holzbalken. Die Natur biete genügend Materialien zum Basteln und Spielen, sagt Peinecke. „Es sind oft die einfachen Dinge, die Kinder begeistern.“ So ist ein kleiner Erdhügel zur großen Attraktion geworden – anstatt die Erde auf dem Grundstück zu verteilen, bleibt sie deshalb dort liegen. „Das ist jetzt ganz offiziell unser Matschberg.“

Der Oberbürgermeister ist vom Erfolg des Konzepts überzeugt. Doch noch ist offen, wann tatsächlich 72 Kinder im Jurten-Kindergarten betreut werden können. „Was uns jetzt noch fehlt, sind engagierte Erzieherinnen und Erzieher“, räumt Bader ein. Laut Peinecke gehören inzwischen sieben Mitarbeitende zum Team, benötigt werden aber zwölf Kräfte.

Naturkindergärten in Baden-Württemberg

Entstehung
30 Jahre ist es her, als eine Elterninitiative im Rems-Murr-Kreis den ersten Waldkindergarten in Baden-Württemberg gründete. Inzwischen hat sich diese Betreuungsform für Kinder längst etabliert. Als sogenannte Naturkindergärten erfreuen sich die Einrichtungen, die ursprünglich in den 1950er Jahren zum ersten Mal in Dänemark aufkamen, hierzulande wachsender Beliebtheit.

Anzahl
Die Zahlen, die vom Kommunalverband Jugend und Soziales (KVJS) Baden-Württemberg regelmäßig erhoben werden, veranschaulichen diese Entwicklung