Theaterleute, die vor kleinen Kindern auftreten, erleben Lustiges und weniger Lustiges. Die Schauspielerin Marion Jeiter und die Puppenspielerin Heidrun Warmuth aus Esslingen können ganze Geschichten von ihren Erlebnissen im Kindertheater erzählen.
„Seid Ihr alle da?“ fragt der Kasper zu Beginn der Kindertheatervorstellung. „Jaaaa!“ rufen die begeisterten Minis im Publikum. Ein Theaterbesuch – auch schon für die Kleinsten – fördert intellektuelle, emotionale, kreative und soziale Fähigkeiten. Abgesehen davon macht es Kindern einfach Spaß, gemeinsam mit anderen in eine gespielte Geschichte einzutauchen. Was Theaterleute beim Auftritt vor Kindern so erleben, haben die Puppenspielerin Heidrun Warmuth und die Schauspielerin Marion Jeiter aus Esslingen unserer Zeitung erzählt.
Brav auf dem Stuhl sitzen, konzentriert zuhören und dem Geschehen auf der Bühne aufmerksam folgen – das kriegen viele Kinder hin. Einige jedoch nicht. Die rutschen auf ihrem Platz hin und her, ratschen ihre Klettverschlüsse auf und zu, schwatzen miteinander, rufen nach der Mama, verraten vorab das Ende der Geschichte, singen selbstvergessen vor sich hin, toben herum und machen allerhand Quatsch. Heidrun Warmuth erinnert sich an ein kleines Mädchen, das sich während der Vorstellung auf die Bühne schlich und eine Requisite stibitzte: „Ein Keks war heruntergefallen, sie hat ihn sich geschnappt und versucht, ihn zu essen. Als sie gemerkt hat, dass er aus Schaumstoff ist, hat sie ihn in Stücke zerfetzt.“
Als „Einzelkämpferin“ auf der Bühne die Konzentration hochhalten
Der Keks-Verlust war zu verschmerzen. Manchmal freilich sind die Reaktionen der Kinder so lustig, dass es selbst gestandenen Theaterleuten schwer fällt, ernst und in ihrer Rolle zu bleiben: Marion Jeiter erzählt von einem Auftritt ihres Ehemannes und Schauspielerkollegen Felix Jeiter beim „Räuber Hotzenplotz“: „Als Kasperl und Seppel fragten ‚Seid ihr wirklich alle da?‘, antwortete ein Kind: ‚Ja, aber ich muss jetzt wirklich aufs Klo!‘“ Wer wie Marion Jeiter und Heidrun Warmuth häufig in Ein-Personen-Stücken als Einzelkämpferin auf der Bühne steht, trägt die ganze Verantwortung und muss auch in so einer Situation konzentriert bleiben. „Da darf man keinen Lachanfall bekommen, da kann man höchstens innerlich schmunzeln“, betont Heidrun Warmuth.
Eigentlich freuen sich die Darsteller im Kindertheater, wenn die Minis im Publikum mitmachen, erzählt Marion Jeiter, die an der Hochschule für Musik und Theater Hannover studiert hat: „Wenn sie plötzlich im Chor ‚Vorsicht, hinter dir!‘ brüllen, wenn du als kleine Möwe von riesigen Ratten verfolgt wirst.“ Heidrun Warmuth erinnert sich an eine Vorstellung, als die Kinder sie trösten wollten, weil sie in ihrer Rolle so traurig war, weil keiner kam, den sie eingeladen hatte. „Da riefen die Kinder: ‚Dann kommen wir jetzt alle zu dir und essen mit dir Kekse.‘ Ich war sehr gerührt, aber ich kann ja nicht alle Kinder auf die Bühne holen“, sagt Warmuth. Da heißt es Ruhe bewahren, weiterspielen und dabei blitzschnell eine gute Idee für eine angemessene Reaktion entwickeln – ohne die Kinder zu enttäuschen. „Ich versuche immer, die Reaktionen der Kinder aufzunehmen. Aber es ist ein Balanceakt, dass man das Ganze wieder in den Griff kriegt: Denn manchmal geht die Fantasie mit den Kids durch, dann muss ich sie irgendwie wieder einfangen, damit die Geschichte weitergehen kann“, so Warmuth, die Puppenspiel an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin studiert hat.
Dieses spontane und schlagfertige Verhalten lässt sich nur schwer erlernen und wird während des Schauspielstudiums nicht geübt. Der Austausch mit Kollegen und vor allem Bühnenerfahrung helfe, Sicherheit zu entwickeln, betonen die beiden Darstellerinnen. Dass sie sich als jeweils dreifache Mütter mit der Lebenswirklichkeit von Kindern auskennen, spiele allerdings nur eine kleine Rolle. Marion Jeiter erinnert dabei an die Antwort der schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren auf die Frage, ob es ihr beim Schreiben geholfen habe, Mutter zu sein: „Es ist nur wichtig, dass man selbst ein Kind gewesen ist.“
Kinder lernen und wachsen von Vorstellung zu Vorstellung
Heidrun Warmuth und Marion Jeiter sind sich sehr wohl bewusst, dass Aufklärungsarbeit nötig ist: „Für viele Kinder ist es zum Beispiel in Schulvorstellungen das erste Mal, dass sie im Theater sind, man darf nicht erwarten, dass sie schon wissen, wie das da läuft,“ betont Heidrun Warmuth. Marion Jeiter, die auch als Kulturarbeiterin mit Geflüchteten arbeitet und Museumsführungen für Schüler anbietet, plädiert für Nachsicht: „Kinder können da hineinwachsen. Wenn sie ein paar Mal im Theater, im Museum, in der Bücherei waren, akklimatisieren sie sich und verstehen, wie man zuhört, was es zu sehen gibt und was man von dem Besuch mitnehmen kann.“ Und sie ergänzt: „Ich hatte Vorstellungen, da saßen lauter Großeltern mit ihren braven Enkelkindern. Das war für mich anstrengender als Schulvorstellungen mit vier aufgedrehten Klassen. Kinder müssen doch ihre Lebhaftigkeit zeigen dürfen. Und Theater soll doch ein Ort voller Energie und Dynamik sein.“
Quatschen, daddeln, knistern oder quieken stört
Schwierige Eltern
„Manche Eltern parken ihre Kinder im Theater. Da brauchen sie sich nicht zu kümmern, daddeln auf dem Handy oder quatschen im Hintergrund“, hat Heidrun Warmuth schon erlebt. Sie erzählt von Omas, die ihren Enkelkindern knisternde Süßigkeiten-Tüten mitgeben, von Müttern, die in der ersten Reihe sitzen und anderen Kindern die Sicht versperren, oder von Vätern, die hinter ihrem Sprössling her auf die Bühne krabbeln.
Kleine Geschwister
Wenn der ältere Bruder ins Kindertheater darf, muss manchmal auch das Baby mitgenommen werden. „Wenn das Kleinkind dann freilich in einer Tour quiekt, weint oder gar schreit, macht das all den anderen Kindern das Theatererlebnis kaputt“, weiß Marion Jeiter. „Dann wird versucht, das Baby mit Klapperspielzeug oder gar einer Spieluhr zu beruhigen. Aber auch das stört die Konzentration“, ergänzt Heidrun Warmuth.
Die Altersempfehlung
Heidrun Warmuth und Marion Jeiter wünschen sich, dass die Altersempfehlung für das jeweilige Stück beim Besuch im Kindertheater ernst genommen wird: „Theaterleute machen sich viele Gedanken, es gibt Probe-Aufführungen vor verschiedenen Altersgruppen. Die Stücke sind auf das Alter der Kinder zugeschnitten, dann können sie auch vom Theaterbesuch profitieren“, betont Heidrun Warmuth.