Versammelten sich zum Fachgespräch mit Tageseltern: Sibylle Schober, wirtschaftliche Geschäftsführerin, Gabriele Pietsch, Vorstandsmitglied, Anke Hennig, MdB, Nicole Lauer, pädagogische Geschäftsführerin, Judith Trautwein, Vorstandsvorsitzende, Nils Schmid, MdB, vor der Geschäftsstelle des Tageselternvereins in Denkendorf. Foto: Ulrike Rapp-Hirrlinger

Die SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Tagesmutter Anke Hennig spricht beim Tageselternverein Kreis Esslingen über die Zukunftschancen ihres Berufs.

Kindertagespflege könne eine große Chance für die Ganztagesbetreuung auch an den Schulen sein, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete und Fachfrau für Kindertagespflege Anke Hennig. Die 60-Jährige war selbst jahrelang als Tagesmutter unter anderem an einer Grundschule tätig. Zu einem Fachgespräch war sie auf Einladung des Nürtinger SPD-Bundestagsabgeordneten Nils Schmid in der Geschäftsstelle des Tageselternvereins Kreis Esslingen mit Sitz in Denkendorf zu Gast. Mit Tagesmüttern und -vätern sprach sie über die aktuellen Herausforderungen und über die Zukunftsperspektiven für Kindertagespflegepersonen.

Auch für Schulen schlummert in der Kindertagespflege viel Potenzial

Diese seien nicht schlecht, meinte Anke Hennig. Grund ist laut Hennig nicht nur die Flexibilität und die Funktion als Ergänzung zu bestehenden Betreuungseinrichtungen, sondern auch die individuellen Betreuungsmöglichkeiten im Rahmen multiprofessioneller Teams. Bereits heute sei die Tagespflege eine gleichwertige Betreuungsform für Kinder unter drei Jahren. Hier ist sie am stärksten nachgefragt. „Aber auch darüber hinaus sollten wir sie als wertvolle Ergänzung zur institutionellen Kinderbetreuung sehen“, betonte Hennig.

Vor allem angesichts des massiven Fachkräftemangels in Kitas, aber auch bei der Ganztagesbetreuung in Schulen berge die Kindertagespflege enormes Potenzial. „Kindertagespersonen können die pädagogischen Fachkräfte in der Ganztagesbetreuung unterstützen“, fordert Hennig die Politik dazu auf, „die Kindertagespflege im Ganztag mitzudenken“. Zumal man sich derzeit auf allen Ebenen überlege, „wie wir das mit der Ganztagesbetreuung hinkriegen“, so Nils Schmid.

Hennig sieht die Tageseltern als ergänzende Kräfte nicht nur in der Grundschule, sondern vor allem auch in Kindergärten und Krippen. „Sie sind sehr wohl in der Lage Kindern etwas beizubringen“, sei es beim Essen oder Vorlesen. Zumal eine Qualifizierung in der Kindertagespflege 300 Unterrichtseinheiten umfasse. Dennoch sei die Kindertagespflege noch immer kein anerkannter Beruf, bedauert Hennig. Schon jetzt gebe es in vielen Kitas multiprofessionelle Teams, erklärte Judith Trautwein, die Vorsitzende des Tageselternvereins und Leiterin eines Kindergartens.

Die meisten Menschen in der Kindertagespflege arbeiten als Selbstständige. 7,50 Euro pro Kind und Stunde bekommen sie im Landkreis Esslingen unabhängig vom Alter des Kindes dafür vergütet. Bezahlt werde allerdings nur die reine Betreuungszeit, moniert Hennig. Doch der Beruf erfordere viel zusätzliche Zeit für organisatorische und administrative Aufgaben. Im Landkreis Esslingen bezahlen die Kommunen darüber hinaus bei Vollzeit fünf Wochen Urlaub und bis zu sechs Wochen Ausfall wegen Krankheit, berichtete Sibylle Schober, die wirtschaftliche Geschäftsführerin des Tageselternvereins.

Dennoch ist die Zahl der Betreuungspersonen rückläufig. „Die Nachfrage nach Betreuungsplätzen übersteigt das Angebot“, sagt Schober. Viele Anfragen könnten nicht bedient werden. Den hohen und unbezahlten Aufwand für Anträge und Abrechnungen nennt Schober als einen Grund, warum Betreuungspersonen aussteigen. Zudem kehrten manche in ihren ursprünglichen Beruf zurück, wenn die eigenen Kinder groß seien. Auch ein Generationenwechsel mache sich bemerkbar. Gerade für ältere Tageseltern sei ein Einsatz in der Schule eine Chance, meint Hennig. „Der Kita-Bereich wäre für sie vielleicht zu anstrengend, sie würden aber gerne noch in der Schule arbeiten.“

Tagesmütter und -väter sehen sich schlecht bezahlt

Eine Chance für die Zukunft der Kindertagespflege biete sich zudem durch die Betreuung in Räumen außerhalb der eigenen Wohnung, die angemietet oder von Kommunen oder Betrieben zur Verfügung gestellt werden. Das Interesse an dieser „Tagesbetreuung in anderen geeigneten Räumen“ (TiagR) die derzeit maximal neun Kinder umfassen darf, sei konstant hoch, so Schober.

Insgesamt müsse sich aber die Bezahlung verbessern. Für einen Einsatz in Einrichtungen wie Schule oder Kita fordert Anke Hennig sozialversicherungspflichtige Anstellungsverhältnisse. Auch die Fachberatung müsse ausgebaut werden. Zudem brauche es für den Einsatz im Ganztagesbereich entsprechende Fortbildungsangebote. Vor allem aber die Anerkennung der in der Kindertagespflege geleisteten Arbeit müsse besser werden. „Wir werden nicht wertgeschätzt“, kritisiert Hennig. Dabei sei die Tagespflege oft die einzige Einrichtung, die Betreuung für Kinder unter einem Jahr anbiete, erklärt Sibylle Schober.

Rund 1400 Kinder betreut

Anke Hennig
Die 60-Jährige stammt aus Osnabrück, ist verheiratet und hat drei Kinder. Im Deutschen Bundestag ist sie stellvertretende familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion und Berichterstatterin für Kindertagespflege.

Verein
Der Tageselternverein Landkreis Esslingen wurde 2010 gegründet und hat seinen Sitz in Denkendorf. Er hat rund 1180 Mitglieder. Nach eigenen Angaben ist er einer der größten Vereine in diesem Bereich. Vorsitzende ist Judith Trautwein.

Betreuungen
357 Kindertagespflegepersonen, darunter acht Männer, haben im vergangenen Jahr rund 1400 Kinder betreut. Gut zwei Drittel davon sind Kinder unter drei Jahren. Von einer Person werden im Durchschnitt 3,9 Kinder betreut.