Kinder haben ab dem Schuljahr 2026/27 Anspruch auf Ganztagsbetreuung. Foto: dpa/Felix Kästle

Es ist derzeit das bildungspolitische Aufregerthema schlechthin im Kreis Esslingen: Soll der Ganztag für Grundschulkinder verpflichtend werden? Nach einer Entscheidung in Deizisau dürften viele Eltern aufatmen. Aus dem Gemeinderat kommt jedoch harsche Kritik.

Ein Gespenst geht um in den Kommunen des Landes – das Gespenst der Ganztagsbetreuung. Diese müssen, das sieht ein Rechtsanspruch so vor, alle Grundschulen bundesweit vom Schuljahr 2026/27 an gewährleisten. So viel also ist klar. Für heftige Diskussionen sorgt im Kreis Esslingen jedoch, auf welche Weise der Rechtsanspruch umgesetzt werden soll.

Wendlingen will – Stand jetzt – den Ganztag verpflichtend einführen, zum Unmut großer Teile der Elternschaft. In Deizisau hat sich der Gemeinderat nun anders entschieden und mit deutlicher Mehrheit gegen eine verpflichtende Ganztagsbetreuung gestimmt. Damit bleibt die Gemeinschaftsschule (GMS) Deizisau für die Klassen eins bis vier eine Halbtagsschule. Hinzu kommt weiterhin eine freiwillige Schulkindbetreuung außerhalb des Unterrichts, die im Gegensatz zur verpflichtenden Betreuung allerdings kostet.

Mehrheit in Deizisau gegen verpflichtenden Ganztag

Den Antrag, es bei der bisherigen Regelung zu belassen, brachte die Verwaltung bei der jüngsten Ratssitzung ein. Grundlage dafür war eine Befragung der Deizisauer Eltern. Das Ergebnis bezeichnete Bürgermeister Thomas Matrohs als „sehr, sehr eindeutig”. Rund 70 Prozent hätten ein verpflichtendes Modell abgelehnt. Deshalb sei die Entscheidung des Gremiums „absolut im Sinne der Eltern“, ist sich Matrohs sicher.

Geradezu enthusiastisch äußerte sich Oliver Krüger (CDU). Das Vorgehen, die Eltern frühzeitig zu befragen und das „repräsentative Ergebnis“ zu berücksichtigen, lobte er mit den Worten: „Das ist gelebte kommunale Demokratie.“ Krüger fügte hinzu: „Wir wollten den Beschluss nicht von oben herab durchsetzen.“ Dass sich das Schulamt zunächst für den verpflichtenden Ganztag ausgesprochen hatte, sah er kritisch. Diese Empfehlung habe „vor den Sommerferien für große Wallung gesorgt“, ergänzte Petra Theil von der Freien Wählergemeinschaft (FW). Sie sagte: „Die Eltern hatten große Angst, dass das über sie drübergestülpt wird.“ Angesichts der Marke von 70 Prozent könnte ihre Fraktion dem Antrag zustimmen.

Die im Rathaus getroffene Entscheidung entspricht dem Willen von 70 Prozent der befragten Eltern. Foto: Roberto/ Bulgrin

Theil gab allerdings zu Bedenken, dass die Bedürfnisse der übrigen 30 Prozent „nicht unter den Tisch fallen“ dürften. In diese Kerbe schlug auch Regine Kaufmann. Die Fraktionsvorsitzende der Liste engagierter Deizisauerinnen merkte zwar an, dass es im Ort „nicht so viele Eltern mit finanziellen Problemen“ gebe. Dennoch sei eine Betreuung, die kostenpflichtig bleibt, problematisch „im Sinne der Chancengleichheit“. Kaufmann wagte einen Ausblick und sagte: „Wahrscheinlich sind wir viel zu starr in unserem Denken.“ In Zukunft benötige es wohl eine „ganz andere Schulform“.

Kritik an finanziellen Folgen für Eltern

Noch deutlichere Worte fand Maik Vosseler von der Freien Sozialen Liste. Er kritisierte die Entscheidung als „verpasste Chance“ und sagte: „In Deizisau sind wir bislang immer nach vorne gegangen und nicht erst auf den fahrenden Zug aufgesprungen.“ Das sei diesmal anders. Als Pilotkommune mit verpflichtender Ganztagsbetreuung wären der Gemeinde „ganz andere Fördermöglichkeiten“ in Aussicht gestanden. Das Geld hätte man etwa in den Ausbau von Schulgebäuden investieren können. Zu den Unruhen unter den Eltern sagte Vosseler: „Die kamen dadurch, dass gezielt Angst geschürt und Unwahrheiten verbreitet wurden.“ Auch bei einem verpflichtenden Ganztag wären Kinder um 14.15 Uhr aus der Schule gekommen, deswegen hätte Vosseler zufolge niemand den Termin im Sportverein oder beim Musikunterricht verpasst.

Mit dem Thema sei Wahlkampf gemacht worden, sagte er. Er fügte hinzu: „Bei der Bildungsgerechtigkeit wurde mal wieder nicht vom Kind aus gedacht, sondern vom Geldbeutel der Eltern her.“ Der Bedarf an kostenloser Betreuung werde sich angesichts der wirtschaftlichen Situation im Land erhöhen, prophezeite Vosseler. Er und seine Fraktion lehnten den Antrag ab, die drei Gegenstimmen blieben aber ohne Auswirkung.

Ganztag bleibt in Deizisau im Fokus

Thomas Matrohs wollte den Vorwurf der Rückständigkeit dennoch nicht unkommentiert lassen: „Bei so einem Thema geht das Gestalten besser, wenn man die Leute begeistert. Es hätte Ressourcen gekostet, Widerstände abzubauen.“ Allerdings räumte der Schultes ein, dass die Gemeinde in Bezug auf den Rechtsanspruch Nachholbedarf habe, vor allem bei der Ferienbetreuung.

Als Elefant stand – wie bei so vielen Kommunen – während der Sitzung der Mangel an Lehrkräften im Raum. Das wirft die Frage auf, inwiefern sich eine Ganztagesbetreuung überhaupt flächendeckend umsetzen lässt. Zu diesem Thema habe man „keine klare Aussage vom Schulamt bekommen“, sagte Matrohs. Zuversichtlich ist er hingegen bei den baulichen Voraussetzungen. Ein neuer Antrag für das Areal der GMS ziele eindeutig auf den Ganztag ab. Perspektivisch dürfte das Thema der verpflichtenden Betreuung wieder auf den Tisch kommen, deutete der Bürgermeister an. Auch Petra Theil sagte: „In vier Jahren wird ganz neu gewürfelt.“

Drei Wege für die Grundschule

Verbindlich
  Von August 2026 an haben Schülerinnen und Schüler von der ersten Klasse an einen Anspruch auf eine ganztägige Betreuung. Um den Vorgaben gerecht zu werden, stand in Deizisau zur Debatte, den Grundschulunterricht an drei Tagen der Woche auf sieben Stunden auszuweiten.

Freiwillig
 Denkbar wäre auch eine Wahlform, in der sich die Erziehungsberechtigten entscheiden können, ob ihr Kind am Ganztagsbetrieb teilnimmt. Dagegen sprechen laut der GMS Deizisau jedoch pädagogische Gründe. In einer Stellungnahme schreibt die Schulleitung, dieses Modell stelle keine Entlastung im Alltag der Schülerinnen und Schüler dar, „da der bestehende Stundenplan nicht entzerrt werden kann“. Auch wird eine soziale Zweiteilung befürchtet. Aufgrund dieser Einwände war die Wahlform nicht Teil der Elternbefragung.

Kostenpflichtig
Die Entscheidung des Gemeinderates bedeutet, dass die GMS von Klasse eins bis vier eine Halbtagsschule bleibt. Der Rechtsanspruch wird deshalb durch Angebote außerhalb des Unterrichts gewährleistet. Die Betreuung bis 17 Uhr kostet für eine Familie mit einem Kind unter 18 Jahren zwischen 55 Euro (ein Tag pro Woche) und 274 Euro (fünf Tage pro Woche). Für Familien mit mehr Kindern sind die Beträge pro Person geringer. Das Mittagessen in der Mensa ist verpflichtend zur Ganztagesbetreuung zu buchen und kostet zwischen 14 und 66 Euro monatlich.