Weil Kinder in der Coronakrise keine regelmäßige Betreuung bekommen, leiden ihre berufstätigen Eltern teils unter extremen Belastungen. Auch Betreuer stoßen in dieser Situation an Grenzen. Betroffene berichten vor der Kamera.

Stuttgart - Die Coronakrise stellt Eltern im Rahmen der Kinderbetreuung vor große Herausforderungen. Kitas und Schule blieben ab März mehrere Wochen lang geschlossen. Bis auf eine Notbetreuung für Kinder mit Eltern in systemrelevanten Berufen gab es keine Möglichkeit, ein regelmäßiges Betreuungsangebot in Anspruch zu nehmen. Zwei betroffene Elternteile berichten vor der Kamera von der Herausforderung, Arbeit, Kinderbetreuung, Home Schooling und Haushalt in Einklang zu bringen. Zudem schildert eine Kitaleiterin ihre Erfahrungen und erläutert die Schwierigkeiten, mit der eine betroffenen Betreuungseinrichtung zu kämpfen hat.

Die Belastung wird immer schlimmer

Sarah Frantz und Markus Becker müssen die Betreuung ihrer Kinder seit mehren Wochen selbst organisieren und stoßen dabei mehr und mehr an ihre persönlichen Grenzen. Beide haben jeweils drei kleinere Kinder, die normalerweise in die Schule und in den Kindergarten gehen würden. In Zeiten des Coronavirus ist diese alltägliche Unterbringung jedoch nicht mehr möglich. „Die Belastung wird immer schlimmer“, sagt Frantz. Die extreme Beanspruchung zehre an den Nerven.

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Obwohl sich beide bei der Beaufsichtigung mit ihren jeweiligen Ehepartnern abwechseln würden, bliebe kaum noch Zeit für alltägliche Dinge, wie beispielsweise anfallende Arbeiten im Haushalt. Diese Dinge würden dann öfter auf das Wochenende verschoben, erklärt Becker. Der Diplom-Mathematiker arbeitet als Software-Entwickler bei einem größeren Automobilzulieferer und hat an fünf Tagen pro Woche Homeoffice. Die Kinder- und Hausaufgabenbetreuung wird bei Familie Becker in einem „Schichtmodel“ abgedeckt. „Vier Tage in der Woche übernimmt meine Frau die morgendliche Betreuung und geht dann mittags ins Büro. Danach übernehme ich unsere Kinder. Um auf meine vollen Stundenzahl zu kommen, arbeite ich dann manchmal noch abends“, schildert Becker den Tagesablauf seiner Familie. Weil eben auch am Wochenende keine Zeit bliebe, stehen die Eltern unter einer permanenten Belastung.

Seit Mitte März kein Kita-Alltag mehr möglich

Petra Kilian ist die stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Bildung (GEB) in Baden-Württemberg. Seit 43 Jahren arbeitet sie im Bereich der Kinderbetreuung und leitet selbst eine Kita in der Stuttgarter Griegstraße. „Dass, was heute in unserer Kita stattfindet, hat mit dem Kita-Alltag vor dem 16. März nichts mehr zu tun“, stellt Kilian fest. Von der Aufteilung der Kinder in mehrere Gruppen, über eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Kleinen innerhalb der Kita-Räumlichkeiten, bis hin zur regelmäßigen Desinfektion des Spielzeuges, musste die Einrichtung ihr bewährtes Betreuungskonzept beinahe von Grund auf umstellen.

Zudem sei es für sie in ihrer Funktion als stellvertretende GEB-Landesvorsitzende nicht nachvollziehbar, dass einige Erzieherinnen in dieser Situation auch noch in Kurzarbeit geschickt wurden. „Das ist ein Sakrileg!“, empört sich Kilian. Wie könne es möglich sein, dass man in einem Arbeitsfeld, das so eine Relevanz zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft, der gesellschaftlichen Systeme und nicht zuletzt der Familien habe, Beschäftige in Kurzarbeit gezwängt werden, fragt sich Kilian.

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Ihr Wunsch an die Politik sei es, „nicht nur die Bedürfnisse der einen Seite zu sehen, sondern auch zu würdigen, was auf der anderen Seite geleistet wird.“ Vor allem unter der Berücksichtigung des aktuellen Fachkräftemangels, den sie in ihrer gesamten Berufslaufbahn noch nie als so akut erlebt habe.

Eltern starten Petition

Auch Sarah Frantz und Markus Becker sehen die Verantwortlichen in der Pflicht. Um ihren Forderungen an die Politik Ausdruck zu verleihen, haben sie die Petition „Schule und Betreuung, die auch in Corona-Zeiten Kindern und Familien gerecht wird“ gestartet. Darin fordern sie beispielsweise Unterrichts- und Betreuungskonzepte, die es Familien ermöglichen, den Anforderungen im Beruf und gleichzeitig den Anforderungen der Erziehung trotz Corona gerecht zu werden.