Naemi Makiadi gehört zum Kunstkollektiv ReCollect, das vor dem Katholikentag das Reiterdenkmal von Kaiser Wilhelm I. auf dem Karlsplatz rot verhüllt hat. Foto: dpa/Marijan Murat

Eine Kunstaktion zum Katholikentag in Stuttgart schlägt hohe Wellen. Bis Sonntag bleibt der Kaiser rot verhüllt. Über die heftigen Reaktionen sprachen wir mit Naemi Makiadi vom Kunstkollektiv ReCollect und mit ZdK-Generalsekretär Marc Frings.

Nach dem Krieg sind etliche Versuche gescheitert, den ungeliebten Kaiser Wilhelm I. vom Karlsplatz fortzujagen. Hoch zu Ross hat der Monarch alle Stürme ausgesessen. Es schien, als habe sich Stuttgart an den 1898 aufgestellten Reiter gewöhnt, immer seltener ertönte Kritik am Herrscher aus Preußen, der als Teil der deutschen Geschichte wohl zum Stadtbild gehörte. Roter Stoff ändert dies über Nacht radikal.

Das Kunstkollektiv ReCollect, bestehend aus Tänzerin Naemi Makiadi, Innenarchitekt B.A. Nosa A. Moses und Lyrikerin Alica Wenzel, hat nichts Illegales getan, als es den Kaiser verhüllte. Das Finanzministerium als Besitzer des Platzes hat dies genehmigt. Die Installation ist der Start des Projekts „DenkMalNach“, mit dem sich die Initiatoren für eine neue Erinnerungskultur einsetzen.

„Man wirft Dinge in einen Topf, die nichts miteinander zu tun haben“

Dass die lange geheim gehaltene Kunstaktion Emotionen auslösen würde, war Naemi Makiadi schon vorher klar. Überrascht ist sie aber, wie heftig sich die Wut auf die katholische Kirche aufgrund eines verhüllten Denkmals in den sozialen Medien niederschlägt. Immer wieder ist zu lesen, die Kirche habe so viele andere Baustellen und müsse eigene Probleme lösen, so dass sie nicht davon mit der Geschichte des Kaisers ablenken sollte. „Da werden Dinge in einen Topf geworfen, die nichts miteinander zu tun haben“, sagt Naemi Makiadi. Der Kindesmissbrauch in der katholische Kirche müsse ohne Zweifel aufgearbeitet werden, doch Kolonialismus, um den es der Kunstgruppe ReCollect geht, sei ein völlig anderes Thema.

Die Kritik an der Kirche ist berechtigt, erklärt Marc Frings, Generalsekretär des Zentralkomitees der Katholiken, auf Anfrage: „Im Kolonialismus haben die Kirchen großen Schaden angerichtet und Kulturgüter geraubt, Lücken aufgerissen und Traditionen zerstört.“ Frings fragt: „Wie konnten die Menschen den Glauben an Jesus Christus als befreiend empfinden, wenn im Zeichen des Kreuzes ihre Identität vernichtet und Besitz geraubt wurde?“ Deshalb ist er dankbar, dass beim Katholikentag diese Themen aufgearbeitet werden. Mit der Verhüllungsaktion sei es vor dem Start des Christentreffs gelungen, für eine „diskursive Vielfalt“ zu sorgen.

Gedenkveranstaltung zum zweiten Todestag von George Floyd

Wie entstand die Idee zur Verhüllung? „Die Organisatoren des Katholikentags haben sich an das Kulturamt der Stadt gewandt mit der Bitte, das Kaiser-Denkmal in einen Kontext zu setzen“, berichtet Naemie Makiadi. Das Kulturamt wandte sich an die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD). Dort bildete sich die Kunstgruppe ReCollect, die sich Gedanken darüber machte, wie man mit dem Denkmal von Kaiser Wilhelm I., einer Schlüsselfigur des deutschen Kolonialismus, künstlerisch umgehen könne, „um den Stimmen Raum zu geben, die unterdrückt und nicht gehört wurden“. Zum zweiten Todestag von George Floyd, der aufgrund roher Gewalt eines Polizisten in den USA starb, wird es am kommenden Samstag, 13.30 Uhr, vor dem verhüllten Reiterstandbild auf dem Karlsplatz ein Programm von Künstlerinnen und Künstlern geben. Am Sonntag wird der rote Stoff dann entfernt.

OB Klett wollte einen Freiheitsplatz ohne Kaiser-Denkmal

Schon zehn Jahre war Kaiser Wilhelm I. tot, als sich am 1. Oktober 1898 die Honoratioren auf dem Karlsplatz dicht drängten. 101 Böllerschüsse knallten. Dem hiesigen König Wilhelm II. war es wichtig, dem verblichenen Kaiser die Ehre zu erweisen und damit zu beweisen, dass sich Württemberg zugehörig zum Kaiserreich zählte. Vier Attentate hat der Kaiser überlebt, das Deutsche Reich gegründet, das Sozialistengesetz erlassen und den Paragrafen 175, der homosexuelle Handlungen unter Männern verbot, ins Strafgesetzbuch gebracht. OB Arnulf Klett wollte ihn nach dem Krieg vom Karlsplatz entfernen. Er setzte sich für einen Freiheitsplatz ohne Denkmal an dieser Stelle ein. Entfernungsabsichten wiederholten sich in den 80ern und in den 90ern. Mal wurde politisch argumentiert, etwa von den Grünen, mal forderte der damalige CDU-Kreischef Gerhard Mayer-Vorfelder einen freien Platz für Feste, für die man Zelte aufstellen könne.

„Ein Denkmal kann ein Denkanstoß sein“

Die Kunstgruppe ReCollect plädiert dafür, erneut über die Entfernung des Reiterstandbilds nachzudenken. Mit dem roten Stoff – die Farbe erinnert an die panafrikanische Flagge – ist die Debatte entfacht. „Wir haben den Kaiser nicht mit Gewalt vom Sockel gestoßen“, erklärt Makiadi, „sondern begrüßen es, wenn viele gesellschaftliche Gruppen darüber diskutieren.“ Es sei Zeit für neue Formen der Erinnerungskultur. Auf alle Fälle müsse eine Infotafel auf dem Karlsplatz aufgestellt werden, die sich mit Wilhelm I. kritisch befasst. Dies fordert auch MdL Friedrich Haag (FDP). Ein Abriss ist für ihn das falsche Signal: „Ein Denkmal kann ein Denkanstoß sein“. Für die katholische Kirche erklärt Generalsekretär Frings: „Wir wollen keine Kaiserdenkmäler entfernen. Mit der Verhüllung setzen wir uns für eine Reihe didaktischer Maßnahmen ein, etwa für eine Erklärtafel.“