Russische Soldaten transportieren ukrainische Kämpfer aus dem Stahlwerk. Foto: AFP/HANDOUT

Für viele ukrainische Soldaten ist der Kampf um das Stahlwerk in Mariupol vorbei, sie befinden sich in russischer Gefangenschaft. Fraglich ist, ob es einen Gefangenenaustausch geben wird. Ein russischer Unterhändler forderte gar die Todesstrafe für die ukrainischen Kämpfer.

Nach wochenlanger Belagerung durch die russische Armee haben gut 260 ukrainische Soldaten das Asow-Stahlwerk in Mariupol verlassen. Die Kämpfer hätten sich „ergeben“, erklärte Russland am Dienstag, während die Ukraine von einer „Evakuierung“ sprach und einen baldigen Gefangenenaustausch ankündigte. Das ukrainische Verteidigungsministerium räumte ein, dass die Armee ihre letzte Bastion in Mariupol nicht länger verteidigen könne.

Präsident will Helden retten

Das russische Verteidigungsministerium teilte am Dienstag mit, 265 ukrainische Kämpfer hätten ihre Waffen niedergelegt. Sie befänden sich nun in russischer Gefangenschaft. 51 Soldaten seien mit schweren Verletzungen zur Behandlung nach Nowoasowsk gebracht worden. Das ukrainische Verteidigungsministerium berichtete am Montagabend von 264 Soldaten, die aus dem Stahlwerk evakuiert und in russisch kontrolliertes Gebiet gebracht worden seien. Die Soldaten hätten „ihren Kampfauftrag erfüllt“. Die Regierung werde „alle notwendigen Rettungsmaßnahmen“ zur Befreiung der verbliebenen „Verteidiger“ auf dem Gelände von Asow-Stahl ergreifen, erklärte das Verteidigungsministerium. Es räumte indirekt auch die Aufgabe des Stahlwerks in Mariupol ein: Die Armee könne „die Blockade von Asow-Stahl leider nicht mit militärischen Mitteln aufheben“.

Der ukrainische Militärgeheimdienst kündigte an, es solle ein Gefangenenaustausch organisiert werden, um „diese ukrainischen Helden so schnell wie möglich nach Hause zu bringen“. Nach Angaben der stellvertretenden Regierungschefin Iryna Wereschtschuk geht es dabei aber nur um die schwer verletzten Soldaten. „Die Ukraine braucht ihre ukrainischen Helden lebend“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montagabend in einer Videobotschaft. Dass ein Großteil der letzten Mariupoler Verteidiger dem Nationalgarderegiment „Asow“ angehört, in dem auch Rechtsradikale kämpfen, ist für viele Ukrainer zweitrangig. Für sie sind die Kämpfer zum Sinnbild des ukrainischen Widerstands gegen die russischen Besatzer geworden.

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In Russland allerdings wird „Asow“ als Rechtfertigung für den Krieg gegen die Ukraine herangezogen. Daher sprach sich etwa der russische Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin in einer Plenarsitzung gegen einen Austausch der Azovstal-Kämpfer aus: „Naziverbrecher unterliegen keinem Austausch. Das sind Kriegsverbrecher, und wir müssen alles dafür tun, sie vor Gericht zu bringen.“ Leonid Slutski, der für Russland mit der Ukraine verhandelt, kommentierte gar, Russland sollten für die Kämpfer des Asow-Regiments die Todesstrafe in Erwägung ziehen: „Sie verdienen es nicht, zu leben, angesichts der monströsen Menschenrechtsverbrechen, die sie begangen haben.“ Russlands Militär äußert sich zunächst nicht zu einem Austausch. Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar hatten Kiew und Moskau mehrere Gefangenenaustausche.

Letzte Bastion Asow-Stahlwerk

Das Asow-Stahlwerk ist die letzte Bastion der ukrainischen Armee in der strategisch wichtigen Hafenstadt. In den vergangenen Wochen waren zunächst Hunderte Zivilisten aus dem riesigen Industriekomplex in Sicherheit gebracht worden. Letzte Woche teilten die ukrainischen Behörden mit, es hielten sich noch rund tausend ukrainische Soldaten, darunter 600 Verletzte, in den Tunnelsystemen auf dem Werksgelände auf.

Die vollständige Einnahme der seit Anfang März von Moskaus Truppen belagerten Hafenstadt Mariupol wäre für Russland ein wichtiger strategischer Erfolg. Er würde es der russischen Armee ermöglichen, eine Landverbindung zwischen den prorussischen Gebieten in der Ostukraine und der annektierten Halbinsel Krim herzustellen. Dem ukrainischen Generalstab zufolge hatte der erbitterte Widerstand der Soldaten in Mariupol den Vormarsch der russischen Streitkräfte auf die Großstadt Saporischschja, die sich nach wie vor in ukrainischer Hand befindet, entscheidend verlangsamt.

Russland setzte unterdessen in der Nacht zu Dienstag seinen Beschuss im ganzen Land fort. Ein Sprecher der Militärverwaltung in Lwiw erklärte, an der Grenze zu Polen sei militärische Infrastruktur getroffen worden. Auch Odessa und Mykolajiw im Süden meldeten Beschuss. Die russischen Soldaten werden beschuldigt, in Mykolajiw wahllos Streumunition eingesetzt zu haben.  Am Montag war es den ukrainischen Truppen laut eigener Angaben gelungen, die Gebiete nördlich der Millionenstadt Charkiw zurückzuerobern. Russland zog demnach seine Einheiten aus der Region ab und verlegte sie für eine neue Offensive Richtung Luhansk in den Donbass.