Apps sollen bei der Nachverfolgung von Infektionsketten helfen. Bislang gelingt das aber kaum, die Pandemie ist vielerorts außer Kontrolle. Foto: imago/Leonhard Simon

Die Bundesregierung will die Reform des Infektionsschutzgesetzes an diesem Dienstag auf den Weg bringen. Doch nicht alle sind mit den bisherigen Plänen zufrieden.

Berlin - Normalerweise vergehen Monate, bis aus einem Gesetzentwurf ein Gesetz wird. Bei der Reform des Infektionsschutzgesetzes hingegen soll angesichts der dramatischen Corona-Lage alles ganz schnell gehen: An diesem Dienstag will die Regierung die Novelle auf den Weg bringen, im Laufe der Woche soll der Bundestag zustimmen. Der Bund will mehr Kompetenzen in der Pandemiebekämpfung an sich ziehen, geplant sind einheitliche Regeln ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 je 100 000 Einwohner. Am Montag gingen die Beratungen dazu weiter, Ländern und Parteien meldeten ihre Forderungen an. Ein Überblick.

Wie ist der Stand der Beratungen?

Am Wochenende waren die Eckpunkte des Regierungsplanes bekannt geworden. Einen Konsens zwischen den beteiligten Akteuren gibt es aber bislang nicht. Die Abstimmungen liefen noch, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montagmittag in Berlin. Die Bundesregierung hält bislang an ihrem Plan fest, in einer vorgezogenen Sitzung am Dienstag einen Beschluss zur Novelle zu fassen. Nach den Vorstellungen der Koalition soll ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 in den betroffenen Landkreisen künftig automatisch eine Art Notbremse greifen: Geplant sind in diesem Fall unter anderem Ausgangssperren zwischen 21 und 5 Uhr. Geschäfte müssten wieder schließen – außer solchen, die Waren des täglichen Bedarfs verkaufen. Gastronomie und Sportstätten blieben zu, private Treffen würden eingeschränkt. Präsenzunterricht in den Schulen soll bis zu einem Inzidenzwert von 200 stattfinden können.

Tragen Länder und Opposition das Vorhaben mit?

Jein. Es gibt einen recht breiten Konsens darüber, das bundeseinheitliche Regeln sinnvoll sein können. Bislang liegt die Verantwortung vor allem bei den Ländern, deshalb gibt es einen Flickenteppich an Regelungen. Jetzt stößt einigen Landesregierungen sauer auf, dass sich der Bund in die Schulpolitik einmischen will. Andere kritisieren grundsätzlich, dass die Länder auf Kompetenzen verzichten sollen. Die Oppositionsparteien – mit Ausnahme der AfD – signalisieren, dass sie das Projekt mittragen könnten. Im Detail üben sie aber Kritik. Die Opposition hat einen mächtigen Hebel, um Einfluss auf das Vorhaben zu nehmen: Zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten müssen zustimmen, dass die Novelle im Schnellverfahren behandelt werden kann und Fristen entfallen. Die große Koalition allein verfügt nicht über eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Wie positionieren sich die Oppositionsfraktionen?

Die AfD lehnt die geplante Reform grundsätzlich ab. Das Vorhaben befriedige „die ausufernden Machtphantasien der Merkel-Regierung“, sagte AfD-Parteivize Stephan Brandner. Die anderen Fraktionen sind gesprächsbereit: Die FDP ist für einheitliche Regeln, stört sich aber vor allem an den geplanten Ausgangssperren, wie Parteichef Christian Lindner deutlich machte. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte, dass das private Verhalten reglementiert werden solle, Pflichten für Unternehmen aber nicht vorgesehen seien. Grünen-Fraktionsmanagerin Britta Haßelmann forderte, eine Testpflicht in Betrieben, die Nutzung von Homeoffice-Möglichkeiten und das Tragen von medizinischen Masken verpflichtend vorzuschreiben.

Muss der Bundesrat der geplanten Novelle zustimmen?

Das ist noch nicht klar. Bislang waren die Länder bei Reformen des Infektionsschutzgesetzes aber stets beteiligt.

Wie groß ist der Handlungsdruck?

Er ist enorm. Regierungssprecher Seibert sagte am Montag, dass die Sieben-Tage-Inzidenz in mehr als 300 Landkreisen über dem Wert von 100 liege. In mehr als 50 liege sie sogar über 200. Die Intensivstationen füllen sich rasant mit Corona-Patienten. Ärzte und Wissenschaftler halten die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes für unzureichend und fordern einen weiteren Lockdown, um die dritte Coronawelle zu brechen. Auch Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) haben sich dieser Forderung angeschlossen.