Die Coronapandemie (Foto oben: eine Ärztin mit einem Abstrich-Röhrchen) belastet das Gesundheitssystem enorm. Foto: dpa/Felix Kästle

Der Kampf gegen das Coronavirus zeigt, dass Deutschland gut gerüstet ist. Trotzdem gibt es seit langem bekannte, gravierende Mängel.

Berlin - Es gibt in diesen Tagen tatsächlich auch noch einigermaßen beruhigende Nachrichten. So betont etwa Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) immer wieder, dass Deutschland knapp 30 000 Betten auf Intensivstationen zähle. Im Vergleich zu Italien hat die Bundesrepublik somit – bezogen auf 1000 Bürger – nach Angaben des Berliner Gesundheitsökonomen Reinhard Busse zweieinhalb Mal so viele Intensivbetten. Spahn will nun auch zusätzliche Beatmungsgeräte beschaffen. Auch die Tatsache, dass es hierzulande viele niedergelassene Labore gibt, die Corona Tests auswerten, ist positiv. Und doch gibt es ein Problem, das seit langem bekannt und trotzdem ungelöst ist: Der Personalmangel bei Ärzten und Pflegekräften.

Er hat nicht mit Geld zu tun. Das letzte Spargesetz im Gesundheitswesen liegt fast 20 Jahre zurück. Berlin hat zuletzt die Ausgaben für die Krankenhäuser erhöht, die der mit Abstand größte Einzelposten im Gesundheitswesen sind. Dass in Baden Württemberg 400 Arztpraxen unbesetzt sind, hat ebenfalls nichts mit Geld zu tun. Dieses haben die Kassen und die Kassenärzte-Vereinigung im Südwesten bereit gestellt, sodass jederzeit jemand einen dieser Praxissitze übernehmen oder eröffnen könnte. Es findet sich nur niemand.

17 000 Pflegestellen sind nicht besetzt

Diese Erfahrung machen auch die Personalchefs in den Kliniken. Derzeit sind nach Angaben des Deutschen Krankenhausinstituts etwa 17 000 Pflegestellen in den Kliniken unbesetzt. Und drei von vier Krankenhäuser suchen Mediziner.

Wie in absehbarer Zeit Fachpersonal für die 17 000 Stellen gefunden werden könnten, weiß niemand. Die Schwächung der Pflege bleibt somit bestehen, die vor Jahren begonnen hat. Im Jahr 2002 hat die rot grüne Bundesregierung die Finanzierung der Kliniken auf Pauschalen umgestellt. So entstand ein Anreiz, möglichst viele Operationen möglichst effizient abzuwickeln, also mit wenig Pflegekräften und einer kurzen Liegedauer der Patienten auf Station.

Lesen Sie in unserem Plus-Angebot: In der Krise braucht Merkel die Bürger Spahn versucht, dem zu begegnen. Er hat Personaluntergrenzen für bestimmte Stationen vorgegeben (wegen Corona sind sie ausgesetzt) und versucht, die Personalausgaben für Pflege in den Fallpauschalen besser abzubilden. Beide Vorschläge sind umstritten. Und tatsächlich kann man fragen, was es bringt, Untergrenzen zu definieren, solange es insgesamt an Mitarbeitern fehlt. Das kann dazu führen, dass eine Station mehr Kräfte nur dadurch bekommt, dass an anderer Stelle ein Loch aufgerissen wird. Aber Spahn ist der erste Gesundheitsminister, der versucht, ein altes Problem anzupacken. Dass die Länder seit langem nicht ausreichend Investitionsmittel für die Krankenhäuser bereit stellen: Daran kann er nichts ändern. Er hat auch keinen Einfluss auf die kommunalen Gesundheitsämter, die in der Coronakrise so wichtig sind. Sie sind chronisch unterbesetzt, allein im Südwesten fehlen dort etwa 40 Mediziner.

Regeln für Herstellung von Generika geändert

Auch bei der Versorgung mit Medikamenten gibt es ein Problem, sowohl bei der Produktion als auch bei der Entwicklung neuer Impfstoffe und Arzneimittel. In Deutschland bestimmen vor allem Generika den Arzneimittelmarkt, also so genannte Nachahmerpräparate, die ein Hersteller vertreiben darf, wenn ein Mittel keinen Patentschutz mehr hat. Viele Generika werden in China und Indien gefertigt. Die aktuelle Corona-Pandemie hat in Wuhan in China begonnen. Trotz stillgelegter Fabriken in China bestehen derzeit laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte keine Nachschubprobleme. Allerdings gab es schon vor Corona bei Dutzenden von Präparaten Lieferengpässe.

Corona, so Spahn, zeige, dass man nicht länger von wenigen Lieferanten abhängig sein dürfe. Die Zeiten, in denen manche Generika nur wenige Cents kosteten, seien vorbei, fügt er an. Allerdings wird es dauern, größere Fertigungskapazitäten in Deutschland oder Europa aufzubauen. Fürs Erste gilt deshalb die drastisch formulierte Einschätzung der Pharmazeutin Ulrike Holzgrabe von der Universität Würzburg: „Die Chinesen brauchen keine Atombombe. Sie liefern einfach keine Antibiotika. Dann erledigt sich Europa von alleine.“Weil es seine Zeit braucht, Europa wieder zu einem Produktionsort zu machen, sind die europäischen Generikahersteller froh, dass die EU bestimmte Regeln schon geändert hat.

Regeln, die aus Sicht der Hersteller verfehlt und geradezu eine Einladung für Produktion in China oder Indien waren. Die Regeln besagten, dass Generikahersteller nicht in bestimmte Staaten liefern durften – auch dann nicht, wenn dort das Patent für das Originalpräparat schon ausgelaufen war. Auch durften sie keine Fertigung für die Zeit unmittelbar nach dem Patentablauf aufbauen, sprich: dafür, am ersten Tag nach dem Ablauf mit Generika am Start sein zu können. In Asien gab es diese Einschränkung nicht, weshalb es betriebswirtschaftlich sinnvoll war, dort zu produzieren.

Arzneien, die gegen Corona helfen könnten, gibt es nicht

Eine betriebswirtschaftliche Crux stellt sich auch bei Infektionskrankheiten wie Sars oder Mers, die auf Coronaviren zurückgehen. Sars brach 2002 aus und brachte 800 Menschen den Tod. Damals war in der Fachwelt rasch klar, dass Coronaviren jene rasante und gefährliche Entwicklung auslösen können, die die Welt seit dem Ausbruch der neuen Coronaepidemie in Wuhan fest im Griff hat.

Spezielle antivirale Arzneien, die heute zur Vorbeugung oder Therapie von Covid-19 helfen könnten, gibt es aber nicht. Sars und Mers waren, zynisch gesprochen, nicht schlimm und umsatzträchtig genug. Schlimm ist dagegen zweifellos das Virus, das jetzt Covid-19 auslöst. Seit Anfang Januar arbeiten Forscher rund um den Globus daran, eine Impfung oder ein Medikament gegen das neue Virus sowie Covid-19 zu finden. Nur gelingt das eben nicht über Nacht. Was fast 20 Jahre lang versäumt wurde, lässt sich nicht auf die Schnelle nachholen.