Ein Grund zur Freude: Vadym Stefaniv und Yelyzaveta Odehova (Mitte) sind mehr als ein Jahr in Deutschland. Er will hierbleiben, sie hadert noch. Foto: VHS/Martina Wörner

Diejenigen, die relativ schnell nach Kriegsbeginn aus der Ukraine nach Deutschland kamen, sind nun schon mehr als ein Jahr hier. Wie geht es ihnen? Zwei Beispiele aus dem Kreis Ludwigsburg.

Ankommen kann man nicht an einem Tag, ankommen, das ist ein Prozess. Als Vadym Stefaniv (22) und Yelyzaveta Odehova (23) vor etwas mehr als einem Jahr irgendwo die deutsche Grenze passierten und später ausstiegen, da nahm ihre Reise ein vorläufiges Ende vielleicht, aber angekommen waren sie noch lange nicht. Sie sind es immer noch nicht.

An diesem Tag strahlen die beiden, sie sind zumindest ein Stück mehr angekommen. In den Händen halten Sie ihre Sprachzertifikate. B1 haben beide geschafft. Verliehen hat die Urkunden die VHS Ludwigsburg. Mit den beiden jungen Ukrainern nehmen an diesem Tag 50 weitere Teilnehmer aus dem Iran, aus Kroatien oder Afghanistan das Dokument entgegen. Vadym und Yelyzaveta, die einfach „Lisa“ genannt wird, gehören optisch zu den jüngsten, neben ihnen in der Reihe stehen viele Landsfrauen, Vadym ist der einzige Mann aus der Ukraine. „Sprache ist das Wichtigste“, sagt der 22-Jährige. Inzwischen könne er im Jobcenter für andere sogar schon übersetzen. „Als wir herkamen, haben wir gar nichts verstanden“, sagt Lisa.

Die Eltern sind noch in der Heimat

„Meine Eltern haben gleich nach Kriegsbeginn gesagt: Geh, geh nach Deutschland. Da wirst du es besser haben“, erinnert er sich. In der Hauptstadt Kiew hatte er Steuerrecht studiert, fertig war er noch nicht. Lisa ist mit ihrer Mutter, Tante und Cousinen hergekommen, der Rest der Familie ist in der Ukraine geblieben. Als sie darüber spricht, wirkt sie fahrig, die Augen werden leicht feucht. Sie schiebt es auf die Sprache, die sie noch nicht so gut beherrsche, sagt sie. Dass es auch der Gedanke an die Lieben in Charkiw sein könnte, verdenken kann man ihr das nicht. „Wir schreiben jeden Tag“, sagt die junge Frau. „Aber ich vermisse alles von dort, nicht nur meine Familie.“ Die Landschaft, das Essen, die bekannten Plätze.

Von „daheim“ sprechen Vadym Stefaniv und Lisa Odehova zwar noch, ob sie jemals wieder dorthin zurückkehren werden? Das Haus ihrer Großeltern sei zerstört, sagt die 23-Jährige, die ein Technikstudium vor ihrer Flucht abgeschlossen hat. „Ich weiß es einfach nicht, was passieren wird.“ Sie will sich weiterbilden, dann schauen, welche Optionen sich ergeben. „Medien- oder Computertechnikerin, das kann ich mir vorstellen.“ Aber am liebsten doch wieder nach Hause. Richtig nach Hause.

Vadym hat die Entscheidung schon gefällt. Er will in Deutschland bleiben. Die Perspektive sei besser. Er hat zwar Steuerrecht studiert, würde aber gern noch mal eine Ausbildung machen. „Etwas mit Autos, am besten ein Job bei Mercedes“, schwebt ihm vor. Das Wichtigste sei aber: er fühle sich sicher in Deutschland, in Ludwigsburg hat er eine WG gefunden. Lisa Odehova, die in Kornwestheim wohnt, nickt. „Es ist sicher hier. Das ist die Hauptsache.“

Einige Klischees haben sich bestätigt

Ein genaues Bild von Deutschland hatten die beiden nicht, bevor sie herkamen. Einiges von dem, was sie gehört hatten, hat sich bewahrheitet. „Auch in der Ukraine gibt es den Stereotypen, dass die Deutschen sehr pünktlich sind“, sagt Odehova . „Und das sind sie wirklich.“ Nur an einem Punkt stimme das überhaupt nicht: Bei der S-Bahn. „In Charkiw war der Zug immer pünktlicher“, sagt Lisa und grinst. Ansonsten sei das Verkehrsnetz – Straßen wie ÖPNV – super, findet sie. Auch das habe sich bewahrheitet.

Und was die Mentalität angeht? Lisa schiebt sich zwei Finger in die Mundwinkel und zieht die dann nach oben. „Immer so“, sagt sie. In Deutschland wirkten und seien die Menschen fröhlicher als in der Ukraine. Das habe nicht erst der Krieg verursacht. Die Hilfsbereitschaft, die sie in Deutschland erfahren hätten, konnten sie kaum fassen. „Mir hat einfach jemand einen Tisch geschenkt, als ich einen gebraucht habe“, sagt Vadym. Ansonsten helfe es auch, dass so viele Landsleute da sind, mit denen man über die Situation in der Ukraine reden könne, sagt Lisa. „Aber schlimm ist das alles natürlich immer noch. Sehr sogar.“