Ein Bandenmitglied im Reichenbacher Molotowcocktail-Prozess gibt sich mit Victoryzeichen siegessicher. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Seit Sommer 2022 schießen im Großraum Stuttgart Mitglieder von zwei Banden aufeinander. Auch Kriegswaffen kamen zum Einsatz. Inzwischen ist es ruhiger geworden. Aber flaut die Gewalt wirklich ab?

Fast zwei Jahre lang hat die Rivalität zwischen zwei Banden in der Region eine beispiellose Gewaltorgie nach sich gezogen. Maschinenpistolen, aber auch Messer und Sprengsätze kamen zum Einsatz. 2024 ist ruhiger geworden. Dass die schießwütigen Gruppierungen nicht verschwunden sind, zeigt der Vorfall am dritten Adventswochenende in Esslingen. Mit einer scharfen Waffe hat ein 27-Jähriger, der diesem Kreis zugeordnet wird, laut Kriminalpolizei nachts mit einer scharfen Waffe in die Luft geschossen und dann ein vorbeifahrendes Auto gekapert. Die Polizei nahm den Mann fest, nach dem tags zuvor bei einer Durchsuchung bereits gesucht worden war. Er soll mit zwei Komplizen, die ebenfalls gefasst wurden, an einer Attacke im Juli 2024 beteiligt gewesen, über die die Polizei keiddne weiteren Auskünfte gibt.

Zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilte das Landgericht Stuttgart im März einen 24-Jährigen, der eine Handgranate auf eine Trauergemeinde in Altbach geworfen hatte. Das Gericht hat den geständigen Angeklagten unter anderem wegen des 15-fachen versuchten Mordes schuldig gesprochen. Der Anschlag gilt als Höhepunkt der Gewaltorgie. So etwas habe es im Großraum Stuttgart noch nicht gegeben, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. 15 Menschen wurden verletzt. Nur ein Baum, an dem die Granate abprallte, verhinderte ein noch größeres Blutbad.

In Zusammenhang mit der Banden-Fehde sind laut Kriminalpolizei nun insgesamt 90 Haftbefehle vollstreckt worden. Auf beiden Seiten sitzen etliche junge Männer in Untersuchungshaft oder sind zu teils langen Gefängnisstrafen verurteilt.

Der 24-Jährige muss wegen des Handgranaten-Wurfs zwölf Jahre in Haft. Foto: Lichtgut

Mehrere Besucher der Beerdigung, die der Esslinger Gruppierung nahestehen, hatten den Handgranaten-Werfer damals verfolgt und wie im Rausch auf ihn eingeschlagen. Sechs jungen Männern wurde 2024 deswegen der Prozess gemacht. Sie wurden im April und Juli zu Haftstrafen zwischen drei und fünf Jahren unter anderem wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Schüsse auf Shisha-Bar in Plochingen

Im März ging auch der Prozess um die Schüsse auf eine Shisha-Bar in Plochingen zu Ende. Zwei 23-jährige Männer verurteilte das Stuttgarter Landgericht zu acht Jahren beziehungsweise fünf Jahren und sechs Monaten Gefängnis. Der Wirt wurde damals leicht verletzt. Die jungen Männer hatten im Verlauf des Prozesses ihre Tatbeteiligung eingeräumt. Aber auch ohne die Geständnisse stünde ihre Tatbeteiligung durch zahlreiche Beweise außer Frage, so die Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Die Verurteilten hätten eine hohe kriminelle Energie an den Tag gelegt.

Molotowcocktails auf einen Barbershop in Reichenbach

Seit September müssen sich drei 22, 21 und 20 Jahre alte Männer wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht verantworten. Sie sollen laut Anklage den nächtlichen Anschlag mit Molotowcocktails am 21. September 2023 auf einen leer stehenden Barbershop in Reichenbach verübt haben. 15 Menschen schliefen zu dem Zeitpunkt in dem Wohn- und Geschäftsgebäude, alle konnten sich retten. Die Angeklagten hätten in Kauf genommen, dass Bewohner getötet oder verletzt werden, so der Staatsanwalt beim Auftakt. Unterdessen zieht sich der Prozess in die Länge. Zuletzt wurden weitere acht Verhandlungstage terminiert. Ein Urteil könnte erst im März fallen.

Verfahren geplatzt – Schöffe spielt am Handy

Einen Paukenschlag gab es bei dem Verfahren gegen drei Angeklagte nach einer Schießerei im März 2023 in Stuttgart-Zuffenhausen. Ein Schöffe gilt als befangen, weil er im Gericht am Handy war. Im November platzte deswegen der Prozess. Ab Januar muss nun neu verhandelt werden. Den Männern wird versuchter Mord vorgeworfen, sie sollen auf ein führendes Bandenmitglied gefeuert haben. Das Opfer ist seitdem gelähmt.

Die Männer, die den Handgranatenwerfer angegriffen haben, müssen in Haft. Foto: dpa

Bandenkriminalität – Sind die Behörden zu lasch?

Der Politikwissenschaftler Mahmoud Jaraba kritisierte jüngst die Ermittlungsbehörden. Häufig würde bei Banden und Clans zu lasch reagiert, sagte er bei einem Vortrag im Esslinger Jugendhaus Komma. Aus Sicht des Erlanger Experten müsse zudem gezielter auf das Umfeld Einfluss genommen, die Familien seien der Schlüssel zur Prävention. Genau diesen Ansatz hat das Landeskriminalamt im Mai dieses Jahres umgesetzt und gezielt Gespräche mit Personen aus dem weiteren Umfeld der beiden Gangs geführt. Auch im Landkreis Esslingen wurden fast 80 junge Leute zwischen 15 und 25 angesprochen, teilweise waren bei den sogenannten Präventiv- und Offensivansprachen auch die Eltern anwesend, teilte das Polizeipräsidium Reutlingen damals mit.