Veranstaltet Festivals gegen Antisemitismus: Jörg Freitag im Jugendkulturzentrum Komma. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Das Jugendkulturzentrum Komma organisiert jedes Jahr ein Festival gegen Antisemitismus. Mit der EZ spricht der Veranstalter über Israelfeindlichkeit, die Anfälligkeit der Linken und legitime Kritik.

EsslingenZwei Männer mit Kippas werden in Berlin von einem Araber geschlagen. Die Rapper Farid Bang und Kollegah erhalten einen Echo, obwohl sie den Fettgehalt ihrer durchtrainierten Körper mit dem von Auschwitz-Insassen vergleichen. Ein muslimischer Schüler bedroht eine jüdische Zweitklässlerin, weil sie nicht an Allah glaubt. Die Übergriffe gegen Juden häufen sich derzeit, der Antisemitismus kocht wieder hoch. Wird er importiert von arabischen Zuwanderern? Entstammt er dem rechtsextremistischen Milieu? Mit solchen Schuldzuweisungen macht man es sich zu einfach, kritisiert Jörg Freitag. Denn der Sozialpädagoge weiß: „Auch in der linken Szene ist Antisemitismus kein unbekanntes Problem.“ Darum organisiert er seit 2014 für das Jugendkulturzentrum Komma jedes Jahr das Festival „Youth Against Antisemitism“, bei dem politische Bildung auf Party trifft. Für die Veranstaltung von 2016 wurde das Komma jetzt in Ulm ausgezeichnet. Mit der Eßlinger Zeitung spricht Freitag über den Preis, modernen Antisemitismus und legitime Israelkritik.

Der Preis wurde vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt“ verliehen. Was hat es mit dem Bündnis und dem Preis auf sich?
Das Bündnis wurde 2000 vom Bundesinnen- und Bundesjustizministerium gegründet, um zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern. 2017 hat das Bündnis zum 17. Mal den bundesweiten Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ ausgeschrieben. Aus 381 Einsendungen wurden 77 Projekte ausgewählt. Acht Preisträger aus Baden-Württemberg und Bayern wurden jetzt in Ulm ausgezeichnet. Das Komma erhielt gemeinsam mit seinen Kooperationspartnern, den Vereinen Emanzipation und Frieden sowie Junges Forum der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft Region Stuttgart, 1000 Euro.

Was passiert mit dem Preisgeld?
Das fließt in die nächste „Youth Against Antisemitism“-Veranstaltung, die im Dezember 2018 stattfinden wird.

Das Komma organisiert seit 2014 jedes Jahr einen Abend gegen Antisemitismus. Was war der Anlass?
Im Sommer 2014 entbrannte der Gaza-Krieg, bei dem Palästinenser Israel mit Raketen und Granaten beschossen, im Gegenzug flogen israelische Streitkräfte eine Luftoperation gegen die Hamas im Gazastreifen und zerstörten unterirdische Angriffstunnel. In Deutschland hörte man damals antisemitische Sprüche auf der Straße wie „Juden ins Gas!“ oder „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein!“. Dagegen wollten wir etwas unternehmen. Darum haben wir die Veranstaltung „Youth Against Antisemitism“ ins Leben gerufen.

Wie läuft solch eine Veranstaltung ab?
Da trifft politische Bildung auf linke Popkultur. Referenten halten Vorträge, zum Beispiel über israelbezogenen Antisemitismus, Antisemitismus im Hip-Hop und Verschwörungstheorien. Dazu gibt es Hummus und Goldstar, ein israelisches Bier. Anschließend spielen Bands und DJs Live-Musik. Diese Veranstaltung organisiere ich aber nicht allein. Dabei helfen mir ungefähr 30 Leute, darunter viele Ehrenamtliche. Leute, die den Infostand betreuen, Leute, die Werbung in den Social Media machen, Leute, die kochen und putzen.

„Youth Against Antisemitism“ richtet sich an linke Jugendliche. Gewöhnlich vermutet man Antisemitismus eher im rechten Lager. Wie kommen Linke zum Antisemitismus?
Antisemitismus gibt es überall: bei Rechten, bei Linken, in der Mitte der Gesellschaft. Bei Linken bezieht sich der Antisemitismus häufig auf Israel und tritt im Zusammenhang mit Antirassismus und Antikolonialismus auf. Israel wird als imperialistischer Staat gesehen, der die Palästinenser unterdrückt. Manche sagen: „Die Juden machen jetzt das mit den Palästinensern, was früher die Nazis mit den Juden gemacht haben.“ Viele Aktivisten der weltweiten politischen Kampagne „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“ zum Beispiel stammen aus dem linken Milieu.

Welches Ziel verfolgt die Kampagne?
Die Kampagne will Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren, um ihre Ziele durchzusetzen: Israel soll die Besetzung und Besiedlung arabischen Landes beenden, den arabisch-palästinensischen Bürgern Israels volle Gleichberechtigung gewähren und palästinensischen Flüchtlingen und ihren Nachkommen die Rückkehr in ihre frühere Heimat erlauben. Das würde jedoch das Ende Israels als jüdischem Staat bedeuten.

Wo endet legitime Kritik an Israels Palästina-Politik und wo fängt Antisemitismus an?
Von Antisemitismus spricht man, wenn Israels Existenzrecht bestritten wird. Wenn Israel dämonisiert wird, zum Beispiel im Bild vom Einsatz israelischer Panzer gegen Steine werfende, palästinensische Kinder. Übrigens hat es das Wort „Israelkritik“ als einziges in den Duden geschafft. „Deutschlandkritik“ oder „Türkeikritik“ sucht man dort vergebens. Das dritte Kriterium für Antisemitismus sind Doppelstandards, mit denen Israel im Gegensatz zu anderen Staaten bewertet wird. Etwa wenn Israel das Recht abgesprochen wird, sich gegen palästinensische Raketenangriffe zu verteidigen. Antisemitisch ist Kritik an der israelischen Politik auch dann, wenn sie mit Klischees vom rachsüchtigen, listigen, machtgierigen Juden argumentiert.

Die Israelfeindlichkeit ist eine moderne Spielart des Antisemitismus jenseits des Hitler-Faschismus. Welche Formen nimmt moderner Antisemitismus noch an?
Im deutschen Hip-Hop kommt es immer wieder zu antisemitischen Ausfällen. Vor einigen Tagen gewann das Rap-Duo Farid Bang und Kollegah einen Echo, obwohl sich in ihrem Song „0815“ die Zeile findet: „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“. Außerdem pflegen viele Verschwörungstheorien das Bild vom reichen, mächtigen Juden, der im Geheimen die Welt beherrscht, verantwortlich ist für den Kapitalismus ebenso wie für den Kommunismus, für 9/11 und den IS, der das Finanzsystem kontrolliert und Brunnen vergiftet. Viele dieser Verschwörungstheorien stützen sich auf die „Protokolle der Weisen von Zion“: geheime Dokumente eines angeblichen Treffens von jüdischen Weltverschwörern, die jedoch längst als Fälschung enttarnt worden sind.

Seit 2015 sind viele Menschen aus arabischen und afrikanischen Staaten zugewandert. Ist Antisemitismus da nicht ein kleines Problem im Vergleich zur Fremdenfeindlichkeit gegenüber diesen Bevölkerungsgruppen?
Für die Betroffenen ist Antisemitismus nie ein kleines Problem. Außerdem ist Antisemitismus zu unterscheiden von Rassismus: Beim Rassismus werden Menschen aufgrund einer äußeren Eigenschaft diskriminiert. Beim Antisemitismus dagegen sind Juden die Projektionsfläche von allem Bösen. In Deutschland gibt es Rassismus gegenüber Flüchtlingen, egal wo sie herkommen. Teils sind Flüchtlinge aus arabischen Ländern mit antisemitischen Stereotypen aufgewachsen und importieren sie nun nach Deutschland. Das verunsichert die jüdischen Gemeinden hier. Auch darum ist es so wichtig, dass Israel als jüdischer Staat fortbesteht.

Die Shoa ist ein Verbrechen, das die Generation der Urgroßeltern beging. Warum müssen sich junge Leute heute, drei Generationen später, immer noch mit dem Thema beschäftigen?
Wenn sich junge Leute heute mit dem Nationalsozialismus befassen, geht es nicht um Schuld, denn Schuld hat keiner von uns. Sondern es geht um Geschichtsbewusstsein im Sinne Adornos: „Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“ Dafür trägt Deutschland eine besondere Verantwortung und das Komma stellt sich ihr. Auch wenn es nur ein kleines Mosaiksteinchen ist: „Youth Against Antisemitism“ bietet Jugendlichen die Chance, sich mit Antisemitismus auseinanderzusetzen.