Großbaustelle Volkshochschule: Wie es weitergehen soll im Land, darüber wird viel diskutiert. Foto: Rüdiger /Ott

Die Corona-Krise hat den Volkshochschulen zugesetzt. Jetzt ist die Pandemie vorbei, doch Teilnehmer bleiben weiter aus, Dozenten sind geflüchtet, Geld muss her. Aber vor allem ein Konzept für die Zukunft.

Ende März war für den Ulmer Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU) die Zeit für ein mahnendes Schreiben an den grünen Stuttgarter Ex-Oberbürgermeister Fritz Kuhn, inzwischen Vorsitzender des Landesverbandes der Volkshochschulen, gekommen. Es ging ums Geld für die ruhmreiche Ulmer VH, mitgegründet und geführt einst von Inge Aicher-Scholl. Die Bildungseinrichtung ist am Rand der Zahlungsunfähigkeit, die Stadt muss wohl erneut hohe Beträge nachschießen. Es könne nicht sein, schimpfte Czisch, „dass die Kommunen im Land zunehmend die finanziellen Mehraufwendungen für die Volkshochschulen tragen müssen – das haben diese bereits in der Vergangenheit wiederholt getan“. Es werde Zeit, dass das Land seine Zuschüsse endlich „dauerhaft erhöht“.

So wie den Ulmern geht es vielen der 162 südwestdeutschen Volkshochschulen mit ihren 638 Außenstellen im Land, von Konstanz über Karlsruhe bis Neckargemünd. Rücklagen, sofern sie überhaupt vorhanden waren, sind aufgebraucht. Fürs Jahr 2021 vermeldete der Landesverband, bedingt durch die Coronaschließungen, einen „historischen Tiefstand“ bei Angebot und Nachfrage. Noch rund 900 000 Teilnehmende gingen in Kurse – gegenüber 2,2 Millionen 2019, dem Jahr vor der Pandemie. Ja, das Land müsse jetzt einspringen, sagt Kuhn zur Notlage. „Das Beste wäre eine gemeinsame Initiative.“ Weiter an der Schraube der Teilnehmergebühren zu drehen – sie machten in den Vorjahren mehr als die Hälfte der Einnahmen aus und gehören zu den höchsten bundesweit – gilt unter Fachleuten in Zeiten der Hochinflation als riskant fürs Geschäft.

Die Integrationskurse haben sich verdoppelt

Zwar will das Land die Zuschüsse für die Einrichtungen der allgemeinen Weiterbildung bis zum Jahr 2025 von jetzt 28 Millionen Euro auf rund 36 Millionen erhöhen. Doch das ist nach Ansicht der Bildungsmacher viel zu wenig. Schließlich leiste man gerade zur Integrierung geflüchteter Ukrainer einen entscheidenden Beitrag, sagt Kuhn.„Nehmen Sie mal die Volkshochschulen weg und fragen, wie wäre dann die Integration von Flüchtlingen gelaufen. Gute Nacht, kann man da nur sagen.“

Laut dem Stuttgarter VH-Verbandsdirektor Tobias Diemer sind 2022 im Südwesten 37 000 Geflüchtete in rund 2200 Kursen unterrichtet worden, mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Das helle zwar die Statistik auf, „finanziell ist es gleichzeitig ein Problem“. Denn die Kurskosten, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlingen erstattet werden, seien nicht kostendeckend. Nach Ansicht von Martin Rabanus, dem Vorsitzenden des Deutschen Volkshochschul-Verbandes mit seinen 850 Häusern, stehen die Erstorientierungskurse für Flüchtlinge „vor dem Kollaps“. Der Bund habe seine Zuschüsse letztes Jahr zwar von 22 auf 45 Millionen Euro aufgestockt, die Mittel fürs laufende Jahr aber wieder auf 25 Millionen Euro zurückgefahren. Das müsse sofort wieder geändert werden.

Der Relevanzverlust hat längst begonnen

Immer mehr Steuermittel für die schwächelnden Volkshochschulen, das sei langfristig wohl kaum die Rettung, sagt der Bildungsforscher Klaus-Peter Hufer, der an der Universität Duisburg-Essen lehrt. Denn deren Relevanzverlust reiche lange vor die Coronajahre zurück. Gerade junge Leute meldeten sich immer spärlicher zu Kursen an. Sie fänden im Internet jederzeit verfügbare Tutorials zum Fremdsprachenlernen, Kochen oder Gymnastik. Zudem planten die Menschen ihre Freizeit immer kurzfristiger und scheuten, sich für lange Zeit zu verpflichten. Hufer spricht von einer „Gesellschaft der Singularitäten“. In ihr ließen Volkshochschulen immer noch ein Jahreskursprogramm drucken und warteten dann, dass Anmeldungen hereinkommen. Wenn es bei solchem Marketing bleibe, so Hufer, seien die Volkshochschulen „in zehn Jahren weg“.

An einzelnen Volkshochschulen im Land laufen derzeit Versuche, Kurse für Schnellentschlossene zu öffnen. Das bedeute aber auch, Kurse kurzfristig absagen zu müssen, falls nicht genügend Teilnehmer da sind, sagen Praktiker. Das wiederum sei denen gegenüber kaum vermittelbar, die sich auf die Ankündigungen der Volkshochschulen verlassen. Probiert wird außerdem, Angebote vermehrt ins Internet zu verlagern oder Veranstaltungen per Internet-Stream an vielen Orten gleichzeitig verfügbar zu machen. An die digitale Volkshochschule der Zukunft glaubt Wissenschaftler Hufer allerdings nicht. „Die Stärke der Volkshochschule lag immer in der Begegnung.“ Nach dem Spanischkurs noch gemeinsam in die Weinstube, das sei für viele wichtiger als das „Bildungsmotiv“.

Dozentenhonorare auf kleiner Flamme

Die Misere der Bildungseinrichtungen wird aktuell verstärkt durch einen Exodus der Dozenten, von denen es zehn bis fünfzehn Mal so viele gibt wie Festangestellte in den VH-Verwaltungen. Sie bekommen im Durchschnitt zwischen 20 und 30 Euro pro Unterrichtsstunde, müssen sich selber sozialversichern. Während die Angestellten stets die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst bekamen, sparten sich die Träger größere Anpassungen bei den Freien. Forscher Hufer nennt das „skandalös“. Die Folge: Dozenten haben sich vielfach für die Corona-Aufholprogramme an Schulen anwerben lassen, wo sie deutlich besser verdienen. Die Qualität der VH-Kursangebote ist teilweise erheblich gesunken.

Fritz Kuhn bestätigt, dass es inzwischen kaum noch gelinge, Universitätsdozenten für die Erwachsenenbildung zu gewinnen. Jetzt, nach der größten Tariferhöhung im öffentlichen Dienst aller Zeiten, dürfte die Zwei-Klassen-Gesellschaft innerhalb der Volkshochschulen weiter auseinander driften. Kuhn ist besorgt: „Wenn die Festangestellten diesen Tarifabschluss kriegen und die Lehrenden nichts, was sage ich denen dann?“, fragt er. Auf die Entlohnung der Dozenten vor Ort habe sein Verband leider keinen Einfluss.

Der Städtetag hat eine Idee

Wie die weitere Zukunft der „zentralen Lernorte für Weiterbildung“ aussieht, wie die Volkshochschulen sich gern selber bezeichnen, scheint derzeit völlig offen. Kuhn sagt: „Wer auf den Status quo setzt, mit höheren Zuschüssen, der verliert.“ Auf jeder Mitgliederversammlung sei das Thema. Ein konkreter Vorschlag kommt jetzt von den Rathauschefs, die meist stolz sind auf ihre örtlichen Volkshochschulen, aber nicht unendlich Finanzlöcher stopfen wollen. Er steht im Zusammenhang mit dem bundesweiten Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung für Kinder im Grundschulalter ab dem Schuljahr 2026/27. Dann, sagt Norbert Brugger, Bildungsdezernent beim Städtetag Baden-Württemberg und Mitglied im Vorstand des Volkshochschulverbandes, könne die Stunde der „Rettung“ schlagen.

Der Betreuungsanspruch für Eltern von künftig rund 430 000 Schulkindern im Land umfasst neben Nachmittagen auch große Zeiten der Ferien. „Die Fachkräfte dafür gibt es schlicht nicht“, so Brugger. Die Volkshochschulen aber könnten sie ab sofort ausbilden – und später selber Räume und Personal zur Schülerbetreuung zur Verfügung stellen. Ein Konzeptpapier dazu will der Städtetag am 12. Mai mit dem Kultusministerium besprechen. Schon dieses und kommendes Jahr hat das Land jeweils 50 Millionen Euro zur Vorbereitung der Umsetzung des Rechtsanspruchs in den Haushalt eingestellt – weiteres Landesgeld könnte über diesen Weg also schnell fließen.

Wo sind die großen Intellektuellen von früher?

Steuergeld allein, mahnt Bildungsforscher Hufer, könne den Volkshochschulen langfristig nicht ihren gesellschaftlichen Stellenwert zurückgeben, könne nicht das Fehlen der „großen Erzähler unserer Zeit“ wettmachen. Figuren wie Walter Jens oder Hans-Magnus Enzensberger zum Beispiel, die zu ihren Lebzeiten auch immer wieder an Volkshochschulen auftauchten und großes Publikum anzogen. Die Volkshochschulen, glaubt der 74-jährige Professor, bräuchten „Experimentierräume“ für neue Kursformen, müssten sich mehr um lokale Interessen und Themen kümmern. Verschwänden die Häuser nach und nach, „wäre das ein kolossaler Verlust an Kultur und sozialem Zusammenhalt“.

Gefährlicher Wandel

Struktur
Von den Volkshochschulen im Südwesten sind rund 100 unmittelbare kommunale Einrichtungen, der Rest ist privatrechtlich als Verein organisiert und erhält Steuerzuschüsse. Letzteres gilt beispielsweise auch für die Volkshochschule Stuttgart.

Auftrag
Eine große Breite des Kursangebots und politische Bildung, das sind Kernaufgaben der Volkshochschulen. Vor zunehmendem Wirtschaftlichkeitsdenken und der Streichung unrentabler Kurse warnte der Deutsche Volkshochschulverband schon 2011 in einer Stellungnahme. Es bestehe „die große Gefahr, dass Volkshochschulen (...) nicht mehr als öffentliche, gemeinwohlorientierte Weiterbildungseinrichtungen erkennbar sein werden“. rub