Übt Kritik: Marco Maurer. Foto: dpa

In Deutschland studieren weit mehr Akademikerkinder als Kinder von Eltern, die nicht studiert haben. Das kritisiert der Autor und Journalist Marco Maurer in seinem Buch „Du bleibst, was du bist“.


Was bedeutet Ihr Buchtitel?


Maurer: Laut der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks beginnen 77 Prozent der Akademikerkinder ein Studium, bei nicht-akademischen sind es 23 Prozent. Wir sagen Kindern mit zehn Jahren: ,Ihr seid nicht gut genug für die Realschule, fürs Abitur oder insgesamt für eine weiterführende Schule.‘ Das geht aufs Selbstwertgefühl. Die größte Hürde für den Bildungsaufstieg ist in Deutschland das eigene Milieu. Wenn dort klassische Bildung nicht wichtig ist, wird keine akademische Karriere angestrebt.


Was machen Eltern eines begabten Kindes, das nicht gefördert wird?


Maurer: Was hilft: sich zu widersetzen. Das heißt, Schulempfehlungen nicht annehmen. Wenn ein Akademikerkind eine Realschulempfehlung bekommt, kommt die Mutter und droht im schlimmsten Fall mit einem Rechtsanwalt. Die Bildungsfernen schlucken das. Notfalls kann man als Beobachter eingreifen. So funktionierte es bei Cem Özdemir. Als dessen Lehrerin zu seiner Mutter sagte: ,Bei Cem ist es doch egal, ob er sitzenbleibt oder nicht. Den schicken sie sowieso zurück in die Türkei‘, half ein Lehramtsreferendar. Er war empört über den Vorfall und überzeugte die Lehrerin, Özdemir in die zweite Klasse zu versetzen.


Welche Hürden gibt es für ein Nicht-Akademiker-Kind nach dem Abitur?


Maurer: Wenige aus nichtakademischen Milieus gehen an die Uni. Das liegt daran, dass man sich oft nicht zutraut, sich das Studium finanziell leisten zu können. Es kostet noch mehr Kraft, wenn ich neben meinem Studium arbeite und Geld verdienen muss. Die anderen haben oft ihre Eltern und damit Kapital im Rücken.


Wie verbessern Studenten ihre Lage?


Maurer: Am besten, man beginnt in der Branche, in der man später mal arbeiten möchte, niederschwellig zu arbeiten. Dort kann man erstes Geld verdienen und schon mal ein Netzwerk knüpfen.


Wie wichtig sind Netzwerke, die man durch seine Eltern hat?


Maurer: Es ist kein Geheimnis, dass Netzwerke Praktika oder den Jobeinstieg leichter machen können. Durch mein Netzwerk habe ich viele Vorteile: Meine Mutter kann mir die Haare schneiden, mein Onkel bringt mir das Holz. Für meine Karriere ist das nicht förderlich. Es ist eine Hürde, wenn man auf kein Netzwerk zurückgreifen kann. Man muss es sich mit viel Energie erarbeiten.


Welche Programme können helfen?


Maurer: In Mentorenprogrammen kommen Schüler aus bildungsfernen Milieus mit Studenten zusammen. Soziale Einrichtungen sollten mit Mentorenprogrammen zusammenarbeiten. Wenn Eltern merken, ihr Kind wächst in einem schlichten Umfeld auf und soll da raus, kann man sich an so ein Programm wenden. Arbeiterkind.de vernetzt junge Menschen mit Akademikern.

ZUR PERSON
Marco Maurer (35) ist Sohn einer Friseurin und eines Kaminkehrers. Nach einer Lehre zum Molkereifachmann holte er das Abitur nach, studierte und arbeitet heute als Journalist.

Die Fragen stellte Julia Naue.