Der Hamburger Ballettchef erklärt, warum er drei Aufführungen seines Tolstoi-Balletts am Bolschoi-Theater zugestimmt hat.
Zwei Jahre ist es bereits her, dass mit der russischen Bombardierung von Kiew auch die Kunst in den Fokus der Boykottaufrufe geriet. Seither sind Auftritte russischer Künstlerinnen und Künstler im Westen ebenso tabu wie Gastspiele in Russland. Wer dennoch an russischen Partnern und Aufträgen festhält, ist unter Rechtfertigungsdruck – so wie nun John Neumeier.
Dessen Ballett „Anna Karenina“ ist für den 2. und 3. März am Bolschoi-Theater in drei Aufführungen angekündigt. Und der Hamburger Ballettchef begründet seine Freigabe mit den ähnlichen Argumenten, die Edward Clug am Beginn des Ukraine-Kriegs einer Aufführung seines Bulgakow-Balletts „Der Meister und Margarita“ zustimmen ließ: Das Stück sei so regimekritisch, sagte Clug 2022, verblüffend, dass es überhaupt gespielt werde.
John Neumeier informiert nun über die Gründe, warum er grünes Licht für sein Ballett „Anna Karenina“ am Bolschoi gegeben habe – „trotz der fundamentalen Distanz“, die er zum russischen Staat „aufgrund seines zutiefst inhumanen Angriffskriegs gegen die Ukraine“ empfinde. Für den Choreografen vermittelt „Anna Karenina“ nämlich „genau die humanen Werte, die das jetzige russische Regime so sträflich missachtet“, teilt Neumeier mit. Sein Ballett stehe zudem als deutsch-kanadisch-russische Koproduktion, ausgedacht von einem homosexuellen, US-amerikanischen Choreografen, für einen diversen Blick auf Tolstois Roman.
Die Tantiemen will John Neumeier spenden
„Nicht zuletzt betrifft es auch die inhaltliche Substanz von ,Anna Karenina‘: Man denke nur an eine Figur wie den Freigeist Lewin, den ich als Sympathieträger zur Musik von Cat Stevens auftreten lasse. Aus allen diesen Gründen sehe ich es positiv, wenn Aufführungen gerade dieses Werkes – und ausschließlich dieses Werkes – in Moskau stattfinden“, argumentiert der Choreograf. Die Tantiemen aus den geplanten Aufführungen am Bolschoi-Theater will er für einen gemeinnützigen Zweck spenden.
Unterstützung für ukrainische Künstler
Zudem verweist der Choreograf, der am 24. Februar seinen 85. Geburtstag mit der Preview der NDR-Dokumentation „John Neumeier – ein Leben für den Tanz“ feiert, auf seine vielfältige Unterstützung ukrainischer Kunstschaffender, indem er Ballette kostenfrei zur Verfügung stelle und geflüchtete Tänzer unterstütze, die im Hamburger Kammerballett eine neue künstlerische Heimat gefunden hätten.
Auch in Hamburg auf dem Spielplan
John Neumeiers „Anna Karenina“ wurde 2017 vom Hamburg Ballett uraufgeführt und hatte anschließend bei den beiden Koproduktionspartnern Premiere: dem Ballett des Bolschoi-Theaters und dem National Ballet of Canada. In Hamburg ist das Stück wieder am 26. und 27. April sowie am 8. und 10. Mai in der Staatsoper zu sehen.