Johannes Kretschmann will in den Bundestag. Foto: dpa/Felix Kästle

Winfried Kretschmann ist Ministerpräsident. Sein Sohn Johannes wählt den Weg Richtung Bundestag. Wie groß ist der Schatten seines Vaters? Wie wichtig ist ihm die schwäbische Heimat? Ein Besuch.

Weilen unter den Rinnen - Markenzeichen: Vollbart, am Hals ein Bändel mit einem silbernen Edelweiß, auf dem Kopf eine schwarze Baskenmütze. Auf der Homepage des Sigmaringer Kreistags gibt Johannes F. Kretschmann als Beruf „Freischaffender Autor“ an. Der Sohn von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist Fraktionssprecher der Grünen im Kreistag. Doch „JFK“, wie er sich selbst abkürzt, zieht es in den Bundestag. Der 43-Jährige wurde von seiner Partei auf Platz 22 aufgestellt. Durch den Wechsel von Danyal Bayaz ins baden-württembergische Kabinett als Finanzminister hat er sich auf Platz 21 verbessert. Sein Wahlkreis ist Zollernalb-Sigmaringen 295.

„Die wichtigste Gabe, die ein Bundestagsabgeordneter haben sollte, ist Unabhängigkeit im Geiste“, sagt Kretschmann in schwäbischer Mundart. Der Dialektfan legt Wert auf „so viel Schwäbisch wie möglich, so viel Standarddeutsch wie nötig“, wenn er wieder in Berlin leben sollte. Dialekt sei oft das wichtigste, einzige oder letzte Band zur Heimat oder gar die Heimat selbst.

Stetiger Vergleich mit dem Vater

Das Berliner Pflaster ist dem in Ostfildern/Ruit im Kreis Esslingen geborenen Kretschmann jedenfalls alles andere als fremd, denn er hat in der Stadt studiert. Beim Interview ist Johannes Kretschmann locker, aber konzentriert. Als Treffpunkt wählt er ein Wasenfest im 620-Seelen-Ort Weilen unter den Rinnen im Zollernalbkreis unweit von seinem Wohnort Sigmaringen.

Die Blaskapelle „Peng“ spielt Zünftiges. Kretschmann schunkelt mit. Man holt ihn auf die Bühne, Kretschmann singt. Viele erkennen ihn, sprechen ihn auf seinen Vater an. Angst vor dem „politischen Haifischbecken“ Berlin hat er nach eigenem Bekunden nicht. „Ich habe damit schon meine Erfahrungen gemacht in den letzten Jahren.“ Und jüngst sowieso, denn besonders nach seiner Nominierung im April in Heilbronn war er wieder da, der Vergleich mit seinem Vater Winfried. „Da kamen dann schon Bemerkungen wie: „“Da surft einer auf der Welle von seinem Vater““. Johannes Kretschmann kann damit wenig anfangen. „Ich kann für meine Herkunft nichts. Und die Aufmerksamkeit, die mir zuteilwird, ist unangemessen - politisch gesehen.“

Möchte sich nicht verbiegen lassen

Vorgenommen habe er sich, dem Druck standzuhalten, den er jetzt schon spüre. „Ein folgenschwerer Mangel am politischen Geschäft ist, dass die Fehlerkultur nicht gepflegt wird.“ Seine Sorge sei, dass er mit der Zeit ein schlechterer Mensch werde. „Manche Politiker fangen unter Druck an, eigene Fehler anderen zuzuschieben. So möchte ich mich nicht entwickeln“, sagt er.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann ist gläubiger Christ, doch sein Sohn hat mit dem Kapitel abgeschlossen. Er trat mit 18 Jahren aus der katholischen Kirche aus. Er könne nicht an die Auferstehung der Toten oder an die Dreifaltigkeit glauben, sagt er. Früher habe er mit seinem Vater, der am Gymnasium sein Ethiklehrer gewesen sei, über kirchliche Fragen gestritten.

Grüne stark rund um Sigmaringen

Nach dem Abitur am Hohenzollerngymnasium in Sigmaringen mit den Leistungsfächern Altgriechisch und Deutsch studierte der begeisterte Dauerläufer von 1998 bis 2009 Religionswissenschaft, Rumänistik und Linguistik an der FU und der Humboldt-Universität in Berlin. Seit 1992 ist er aktives Mitglied der Musikkapelle im Sigmaringer Ortsteil Laiz. „JFK“ spielt Waldhorn und war während seiner Studienzeit Mitbegründer der Zentralkapelle Berlin.

Bisher ging das Direktmandat im Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen stets an die CDU. 2017 holte Thomas Bareiß 45 Prozent der Erststimmen. Bei den vergangenen beiden Landtagswahlen waren die Grünen rund um Sigmaringen jeweils stärkste Partei. Im Zollernalbkreis waren sie der CDU nur leicht unterlegen.

Bei der vergangenen Bundestagswahl gab es zwar einen deutlichen Sieg für die CDU, allerdings fuhr Thomas Bareiß 2017 sein bisher schlechtestes Ergebnis ein. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag von Campact Mitte August ergab, dass es diesmal eng werden könnte für den CDU-Bundestagsabgeordneten und Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Demnach liefern sich der CDU-Politiker und Johannes Kretschmann ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Bezogen auf die Wahlwilligen, die sich bereits entschieden haben, würden jeweils 31 Prozent auf Bareiß und Kretschmann fallen.