US-Präsident Joe Biden hält seine Rede zur Lage der Nation – unter den Augen von Vizepräsidentin Kamala Harris und dem „Speaker of the House“ Kevin McCarthy. Foto: AFP/ANDREW CABALLERO-REYNOLDS

Im US-Kongress hält Joe Biden seine Rede zur Lage der Nation und führt seine innenpolitischen Erfolge auf. Bisher hat der US-Präsident noch nicht verkündet, ob er 2024 noch einmal antreten wird. War das seine Bewerbungsrede?

Eine Stunde, zwölf Minuten ohne einen seiner berüchtigten „gaffes“ – Versprecher, Aussetzer, Lapsus Linguae, die Joe Biden so gerne einmal rausrutschen. In seiner Rede zur Lage der Nation, die „State of the Union Adress“ vor beiden Kammern des US-Kongresses spulte der Präsident am Dienstagabend in Washington routiniert die Erfolge seiner Amtszeit ab: dicke Investitionspakete für die Stabilisierung der Wirtschaft, für die Modernisierung der maroden Infrastruktur und für den Kampf gegen den Klimawandel.

Außenpolitik spielte nur eine Nebenrolle – selbst der Krieg in der Ukraine und die Konkurrenzsituation zu China waren dem US-Präsidenten nur ein paar Sätze wert. Stattdessen zeigte Biden ganz pragmatisch, wie er das Leben des Durchschnittsamerikaners in den vergangenen zwei Jahren besser gemacht habe – bis in die kleinsten Verästelungen wie Kreditkartengebühren und Sitzplatzreservierungen für Familien in Flugzeugen.

„Ich habe für das Amt des Präsidenten kandidiert, um die Dinge grundlegend zu verändern, um sicherzustellen, dass die Wirtschaft für alle funktioniert“, sagte Biden. Wirtschaftlich läuft es tatsächlich ganz gut in den USA. Die Arbeitslosigkeit ist auf dem tiefsten Stand seit mehr als 50 Jahren. Die hohe Inflation ist wieder auf dem Rückzug.

Tritt Biden 2024 noch einmal an?

War die Rede eine Werbeveranstaltung für eine zweite Amtszeit? Bisher hat Biden noch nicht offiziell verkündet, ob er bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 noch einmal antreten will. Der älteste US-Präsident aller Zeiten wäre dann beinahe 82 Jahre alt.

Der 45. US-Präsident Donald Trump, der es 2024 noch einmal wissen will, sieht Biden auf jeden Fall als Konkurrenz – auf seiner Online-Plattform „Truth Social“ kommentierte Trump Bidens Rede live und sparte nicht mit Kritik. Biden sei schwach, China lache über die USA. Die gute Nachricht aber sei, „dass wir jede einzelne Krise, jedes Unglück und jede Katastrophe, die Joe Biden verursacht hat, rückgängig machen werden“ – wenn Trump 2025 ins Weiße Haus zurückkehre.

Zwischenrufe von den Republikanern

Gegenwind gab es auch live im Kongress. Mehrfach wurde der Präsident von Zwischenrufen aus den Reihen der Republikaner unterbrochen. Eine meldete sich besonders oft zu Wort: die Rechtsaußen-Abgeordnete der Partei, Marjorie Taylor Greene. Einmal brüllte sie dem Präsidenten entgegen: „Lügner!“

Der 80-jährige US-Präsident sprach erstmals vor einem Kongress, in dem seine Demokraten nicht mehr in beiden Kammern die Mehrheit haben. Bei den Zwischenwahlen im November hatten die Republikaner eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus errungen. Das macht es für Bidens Regierung noch schwieriger, Gesetzesvorhaben umzusetzen, auch wenn sie weiterhin den Senat kontrolliert.

Biden rief die Republikaner dazu auf, ihre Blockadehaltung bei vielen Gesetzesvorhaben zu beenden und mit seinen Demokraten zusammenzuarbeiten. Ein frommer Wunsch – der mit den vielen republikanischen Hardlinern in beiden Kammern vermutlich ein Wunsch bleiben wird.

„Die Aufgabe zu Ende bringen“

Er sei angetreten, um die Seele der Nation wiederherzustellen, das Rückgrat Amerikas, die Mittelschicht, wieder aufzubauen und das Land zu einen. Das alles wolle er „zu Ende bringen“. „Die Aufgabe zu Ende bringen“, das wiederholte Biden in der Rede immer wieder. Ist es ein Hinweis auf eine zweite Kandidatur?

Die US-amerikanische Bevölkerung schaut nicht besonders enthusiastisch auf weitere vier Jahre Biden im Weißen Haus. In einer Umfrage der Zeitung „Washington Post“ und des Senders ABC gaben kürzlich 62 Prozent der Amerikaner an, sie wären „unzufrieden“ oder „wütend“, falls Biden 2024 noch mal gewählt würde. Und selbst unter Demokraten sagten 58 Prozent, sie hätten lieber einen anderen Kandidaten bei der nächsten Wahl.