Lars Eidinger als Jedermann bei den Salzburger Festspielen Foto: dpa/Barbara Gindl

In einer überraschend traditionellen Neuinszenierung von Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ bei den Salzburger Festspiele brilliert Lars Eidinger in der Titelrolle. Auch Verena Altenberger als Buhlschaft und Edith Clever als Tod bieten hohe Schauspielkunst.

Salzburg -

Selten in jüngerer Zeit war ein Salzburger „Jedermann“-Darsteller mit so viel Vorschusslorbeer überhäuft worden wie der Berliner Schauspieler Lars Eidinger. Doch die hohen Erwartungen waren berechtigt. Eidinger, der in zahlreichen Shakespeare-Rollen ebenso brilliert hat wie in der populären TV-Serie „Babylon Berlin“, war einer der überzeugendsten „Jedermänner“ seit langem und stellte seinen nuschelnden Vorgänger Tobias Moretti an darstellerischer Präsenz weit in den Schatten. Es gab Ovationen für den 45-Jährigen nach der Premiere zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2021, die am Samstagabend wieder einmal wegen Dauerregens im Großen Festspielhaus über die Bühne ging.

Eigentlich sollte es dieses Jahr eine Wiederaufnahme der vor vier Jahren entstandenen Produktion des österreichischen Regie-Routiniers Michael Sturminger geben. Doch wegen der Umbesetzung fast des gesamten Darstellerteams entschied man sich für eine komplette Neudeutung von Hugo von Hofmannsthals Mysterienspiel vom „Sterben des reichen Mannes“, den beim Festbankett der Tod zur letzten Reise bittet und der nach seiner Bekehrung als reuiger Sünder vor seinen göttlichen Richter tritt. Seit 101 Jahren ist das üblicherweise auf dem Domplatz gegebene Spiel fester Bestandteil der Salzburger Festspiele und regelmäßig ausverkauft.

Der Regisseur Michael Sturminger inszeniert den „Jedermann“ ein zweites Mal

Dass sich derselbe Regisseur zweimal hintereinander dasselbe Stück vornimmt, ist unüblich. Sturmingers Version von 2017 mit Moretti in der Titelrolle war die modernste aller Zeiten, mit viel Technik, wenig Glauben und zahlreichen Eingriffen in den Text. Im zweiten Anlauf korrigierte der Regisseur die meisten seiner Eingriffe und näherte sich nach einem unkonventionellen Beginn in auffallender Weise dem gravitätischen Duktus der Ursprungsinszenierung von Festspielgründer Max Reinhardt an.

Zu Anfang dachte man noch, Sturminger hole jetzt zur finalen Zertrümmerung des Dauerbrenners aus. Als Gottvater mit weißem Rauschebart erinnerte Mavie Hörbiger, die später auch den Teufel gab, an den einst als Bhagwan verehrten Sektenführer, eine Lachnummer. Beim Anfangsmonolog des Jedermann, in dem er mit seinem Reichtum prahlt, saß ihm Verena Altenberger als Buhlschaft auf den Schultern, teilte mit ihm den Text und übernahm gleich noch die Rolle des Kochs, der das Menü fürs Festbankett präsentiert. Und dem von ihm ins Gefängnis expedierten Schuldknecht verpasste Jedermann im Boxring den Knockdown - etwa zu viel Klamauk mit einem puschelnden Cheerleader-Duo und Slapstick-Effekten.

Lars Eidinger spart nicht mit offensivem Körpereinsatz

Doch danach lenkte Sturminger seine Inszenierung, für die Renate Martin und Andreas Donhauser verfremdet-historisierende Kostüme kreiert hatten, in ruhigere Bahnen. Nun konnte Eidinger sein Talent sensibel-kraftvoller Textdeutung voll entfalten und sparte dabei nicht mit offensivem Körpereinsatz, was seiner Begegnung mit der Buhlschaft, die zur Kurzhaarfrisur einen roten Hosenanzug trug, eine ungemein erotische Komponente verlieh. Ihr Abschied von Jedermann, dem sie nicht auf seine letzte Reise folgen möchte, wurde wortlos als Pantomime von Anziehung und Abstoßung zelebriert, eine starke Szene.

Mavie Hörbiger, Enkelin der österreichischen Theaterlegende Paul Hörbiger, als erster weiblicher Teufel der Festspielgeschichte fiel dagegen ab: Um dem Glauben wirklich Paroli zu bieten, fehlte ihr trotz beachtlichen Engagements der komödiantische Überdruck. Nach vier Jahren als Jedermanns bigotte Mutter verkörperte Bühnen-Altstar Edith Clever diesmal den Tod. Äußerlich an einen Shinto-Priester erinnernd, verkündet sie dem Jedermann mit Grabesstimme das Ende aller Geselligkeit. Am Ende sinkt ihr der Todeskandidat freiwillig in die Arme. Zu Bachs Choral „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder“ (Musik: Wolfgang Mitterer) bilden sie das anrührende Bild einer Pietà. Dann verlöscht das Licht.