Iwao Hakamada wurde 1966 zum Tode verurteilt. 57 Jahre später lebt er immer noch. Foto: imago images/Kyodo News/ via www.imago-images.de

Fast 60 Jahre nach seiner Verurteilung könnte der weltweit am längsten in einer Todeszelle sitzende Häftling freikommen: Der Vorsitzende Richter an Japans Oberstem Gericht ordnete die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Iwao Hakamada an.

Knapp 60 Jahre nach seiner Verurteilung in Japan könnte der weltweit am längsten in einer Todeszelle sitzende Häftling freikommen: Der Vorsitzende Richter am Obergericht in Tokio äußerte erhebliche Zweifel an früheren Beweisen und ordnete am Montag die Wiederaufnahme des Prozesses gegen den 87-jährigen Iwao Hakamada an. Beim Verlassen des Gerichtssaals entrollten Hakamadas Anwälte Transparente mit der Aufschrift „Wiederaufnahme des Verfahrens“, Unterstützer skandierten: „Lasst Hakamada jetzt frei.“

„Da es außer der Kleidung keine Beweise gibt, die Hakamada als Täter ausweisen könnten, ist es klar, dass begründete Zweifel bestehen“, zitierte der staatliche Fernsehsender NHK am Montag den Vorsitzenden Richter Fumio Daizen.

Todesurteil wegen Ermordung von Chef und seiner Familie

Hakamada wurde 1968 wegen der Ermordung seines Chefs und dessen Familie zum Tode verurteilt. Der frühere Boxer legte nach wochenlangen Polizeiverhören ein Geständnis ab, widerrief es aber später. Er sagte aus, er sei in den brutalen Verhören zu dem Geständnis gezwungen worden. Zudem gab er an, die Beweise seien gefälscht worden. Dennoch wurde das Todesurteil 1980 vom Obersten Gerichtshof bestätigt.

Ein wichtiges Beweismittel für Hakamadas Verurteilung waren damals blutverschmierte Kleidungsstücke gewesen, die mehr als ein Jahr nach der Tat aufgetaucht waren. DNA-Tests ergaben jedoch keine Verbindung zwischen Hakamada, den Kleidern und dem Blut. Doch das Gericht lehnte damals die Testmethoden ab.

Kurzfristige Freilassung

2014 ordnete dann ein Bezirksgericht überraschend an, dass Hakamada einen neuen Prozess bekommen müsse. Bis zur Wiederaufnahme des Prozesses wurde er freigelassen. Vier Jahre später hob das Obergericht in Tokio auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Urteil aber wieder auf. 

Hakamadas Unterstützer schalteten daraufhin Japans Obersten Gerichtshof ein, der Todeskandidat konnte weiter in Freiheit bleiben. Dort entschieden die Richter im Jahr 2020, dass das Obergericht in Tokio seine Entscheidung überdenken müsse. 

Amnesty International begrüßt Urteil

„Ich habe 57 Jahre lang auf diesen Tag gewartet, jetzt ist er gekommen“, sagte Hakamadas Schwester Hideko am Montag. „Endlich ist mir eine Last von den Schultern genommen worden“, sagte die 90-Jährige, die sich unermüdlich für ihren Bruder eingesetzt hatte.

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte das Urteil als eine „längst überfällige Chance, Gerechtigkeit zu schaffen“. Der Amnesty-Japan-Direktor, Hideaki Nakagawa, forderte die Staatsanwaltschaft auf, von einer erneuten Berufung abzusehen und so den seit neun Jahren bestehenden „Schwebezustand seit Hakamadas ‚vorübergehender Entlassung’ nicht zu verlängern“.

Hakamada gilt als der Häftling, der weltweit am längsten in einer Todeszelle saß. Die zumeist in Einzelhaft verbrachten fast fünf Jahrzehnte im Todestrakt haben ihm psychisch schwer zugesetzt. In einem AFP-Interview sagte der frühere Boxer, er habe das Gefühl, jeden Tag einen neuen Kampf durchstehen zu müssen. Japan ist neben den Vereinigten Staaten die einzige große demokratische Industrienation, in der Todesurteile noch durchgeführt werden.