Italiens Premier Mario Draghi hat im Senat seine Bereitschaft erklärt, im Amt zu bleiben. Er fordert aber etwas von den Parteien.
Hochspannung, aber auch reichlich Aufregung gestern in Rom: Bei seiner mit Spannung erwarteten Erklärung vor dem Senat hatte Draghi zunächst seine Bereitschaft signalisiert, unter bestimmten Bedingungen die Regierungsgeschäfte weiterzuführen und damit von seinem Rücktritt wieder zurückzutreten: „Wir brauchen einen Pakt des Vertrauens“, betonte Draghi in seiner Rede im Senat. Dies sei der einzige Weg, die Regierungsarbeit weiterzuführen. Zum Schluss seiner Ausführungen fragte er die Parteien, ob sie bereit seien, diesen Pakt „von Grund auf“ („da capo“) zu erneuern, und ergänzte: „Die Antwort müsst ihr nicht mir geben, sondern den Italienerinnen und Italienern.“ Denn sie – „und nur sie“ – seien es gewesen, deretwegen er sich noch einmal in den Senat begeben habe.
Für die Linksparteien PD und LEU sind beide Forderungen völlig unannehmbar
Draghi spielte damit auf die Welle der Sympathie und Unterstützung an, die er in den fünf Tagen seit seinem Rücktritt seitens der Bürgerinnen und Bürgern erfahren hatte. Der Premier erwähnte an erster Stelle die fast 2000 Bürgermeister, die ihn in einem offenen Brief gebeten hatten, im Amt zu bleiben. Sie seien es, die die Probleme und Sorgen ihrer Bürger am besten kennen würden. Weiter nannte Draghi das Gesundheitspersonal, dem das Land wegen seines großen Einsatzes in der Pandemie zu großem Dank verpflichtet sei, und das ihn ebenfalls gebeten hatte, zu bleiben. Petitionen und Ermunterungen kamen auch von den Industriellen, den Gewerkschaften, den Schulen und Universitäten – und auch von unzähligen Staatskanzleien der halben Welt, namentlich aus Brüssel, Washington und Kiew.
Die rechtspopulistische Lega von Matteo Salvini und die Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi erklärten sich in der anschließenden Senatsdebatte zwar bereit zur Erneuerung des Pakts, stellten aber Bedingungen, die eine Einigung praktisch ausschloss: Die beiden Parteien verlangten einen Ausschluss der Fünf-Sterne-Bewegung aus der Regierung – ein angesichts der notorischen Unzuverlässigkeit der „Grillini“ nachvollziehbares Anliegen –, aber zugleich forderten sie auch eine Umbildung der Regierung und die Entfernung der bei den Rechtsparteien unbeliebten Justizministerin Luciana Lamorgese sowie des sozialdemokratischen Gesundheitsministers Roberto Speranza. Für die beiden an der Regierung beteiligten Linksparteien PD und LEU sind beide Forderungen völlig unannehmbar.
Neuwahlen könnten am 2. oder 9. Oktober stattfinden
Die Regierung hing damit gestern wieder am seidenen Faden, die Sitzung im Senat wurde unterbrochen, um den Parteien Zeit für neue Verhandlungen zu geben. Am Abend gingen die Diskussionen im Plenum weiter mit anschließender Vertrauensabstimmung weiter. Heute wird sich das Prozedere im Abgeordnetenhaus, wiederholen – falls Draghi angesichts der Forderungen von Salvini nicht vorher das Handtuch wirft.
In diesem Fall wäre Staatspräsident Sergio Mattarella am Zug: Er könnte versuchen, eine Übergangsregierung zu bilden, die das Land noch bis zu den Parlamentswahlen im Frühling führen wird. Oder er könnte sofort das Parlament auflösen und Neuwahlen für den Herbst ansetzen. Diese könnten am 2. oder 9. Oktober stattfinden.
Boykottierte Vertrauensabstimmung hatte Draghi zum Rücktritt bewogen
In seiner Erklärung vor dem Senat war Draghi mit den Parteien seiner bisherigen, politisch sehr weit gefassten Koalition der nationalen Einheit, hart ins Gericht gegangen: Nachdem diese zunächst Geschlossenheit und Verantwortungsbewusstsein gezeigt und die Realisierung zahlreicher wichtiger Reformen ermöglicht hätten, seien in den letzten Monaten Parteiinteressen und „ein wachsendes Bedürfnis nach Abgrenzung und Zerstrittenheit“ in den Vordergrund gerückt, kritisierte Draghi.
Als Beispiel dafür nannte er auch die Waffenlieferungen an die Ukraine, von der sich die Fünf-Sterne-Bewegung von Giuseppe Conte und Salvinis Lega distanzierten. In der vergangenen Woche haben die Fünf-Sterne, die zweitgrößte Regierungspartei, eine Vertrauensabstimmung boykottiert. Dies hatte Draghi zu seinem Rücktritt bewogen – denn damit sei augenfällig geworden, dass der „Pakt des Vertrauens“ nicht mehr existierte.