Seit dem 1. Juli ist der restaurierte Isenheimer Altar im Museum Unterlinden in Colmar ausgestellt. Foto: epd/Philipp von Ditfurth

Der Isenheimer Altar in Colmar gilt als wichtiges Werk der Sakralkunst. In jahrelanger Arbeit wurde er aufwendig restauriert. Jetzt gibt es viele Überraschungen zu entdecken.

Die mit Nägeln durchbohrten Hände und Füße wirken noch schmerzverzerrter, die eitrigen Geschwüre am Leib des toten Jesus treten noch deutlicher hervor: Nach der mehrjährigen Restaurierung des berühmten Isenheimer Altars im Unterlinden-Museum in Colmar ist das Leiden des gekreuzigten Jesus wieder in seinen grausamen Details zu sehen. Die Restaurierung war ungewöhnlich aufwendig – und hat Ungewöhnliches zutage gefördert.

Was macht den IsenheimerAltar so besonders?

Der Isenheimer Altar gilt als eines der bedeutendsten Werke der Sakralkunst, weil es einen neuen Ausdruck für das Leiden Jesu gefunden hat. Die Kreuzigungsszene war in mittelalterlichen Andachtsbildern zwar ein zentrales Bildmotiv, doch die Abbildung des Ausnahmekünstlers Matthias Grünewald (1470–1528) rückte das Leiden auf ganz neue Weise in den Vordergrund. Im Gegensatz zu vorangegangenen Darstellungen ist Jesus hier kein Sieger über den Tod, der aufrecht am Kreuz hängt, oder ein triumphierender Erlöser von den Sünden der Menschheit. Er ist kein Sterbender, sondern ein Leidender.

Grünewald stellt die Kreuzigung so grausam dar wie niemand vor ihm: Der große Nagel, mit dem die Füße am Kreuz befestigt sind, zerreißt das Spannfleisch, das Haupt ist durch die riesige Dornenkrone voller Blut, der Mund blau angelaufen. Sein Leib ist von Stacheln und eitrigen Geschwüren übersät. Das Bild schockierte.

Die Restaurierung hat lange gedauert

Der Wandelaltar ist zwischen 1512 und 1516 entstanden und besteht aus elf Bildteilen und einem Mittelschrein voller Skulpturen. Die Bildtafeln sind von Grünewald, die Holzskulpturen von Niklaus von Hagenau.

Die nun zu Ende gegangene Restaurierung ist nicht das erste Lifting des Isenheimer Altars, den Grünewald für das ehemalige Antoniterkloster in Issenheim südlich von Colmar geschaffen hat. Doch zum ersten Mal wurde der Altar nun mit den modernsten Techniken gereinigt, studiert und analysiert.

Es wurden modernste Mittel eingesetzt

Vorausgegangen waren heftige Einwände gegen im Juli 2011 vorgenommene Eingriffe auf der rechten Außentafel mit der Versuchung des heiligen Antonius. Kritiker, darunter der Kunsthistoriker Didier Rykner, warfen dem damaligen Team vor, mit überholten Methoden vorzugehen, die die Malschicht gefährden könnten. Daraufhin wurde die Restaurierung gestoppt und 2018 wieder fortgesetzt – mit modernsten Mitteln.

Was gibt es neu zu entdecken?

Dazu gehörten Röntgenaufnahmen, Pigment- und Schichtanalysen, Verfahren, die Infrarotstrahlung nutzten oder Laser. Sogar Eye-Tracking kam zum Einsatz, um Veränderungen im Betrachtungsverhalten der Besucherinnen und Besucher zu messen. Die Erfrischungskur fand vor den Augen des Publikums statt.

Die Restaurierung hat viele neue Erkenntnisse gebracht. So kam die im 18. Jahrhundert übermalte originale Farbgestaltung der Skulpturen zum Vorschein, ebenso Nuancierungen in der Malschicht der Tafelbilder. Nun ist der geschnitzte Sockel des heiligen Antonius nicht mehr rosafarben, sondern malachitgrün. Das Grauen der Kreuzigungsszene wird nicht mehr von einer pechschwarzen Nacht umhüllt, sondern von einem nachtblauen Himmel mit grauen und schwarzen Wolken.

Ein Hoffnungsschimmer in dunkelster Nacht

Pantxika De Paepe, die Direktorin des Unterlinden-Museums, kommt deshalb zu einer neuen Werks: Das sei wie „ein Hoffnungsschimmer in dunkelster Nacht“, sagte sie. Diese Auslegung passt zur Geschichte des Altars: Im einstigen Klosters wurden Menschen vor ihn gebracht, die auf Heilung vom „Antoniusfeuer“ hofften – einer Mutterkornvergiftung, die zum Absterben von Gewebe führen kann und zu den gefürchteten Epidemien des Mittelalters zählte.

Schon vorher war das Unterlinden-Museum eins der meistbesuchten Kunstmuseen in Frankreich. Auf seinem berühmtesten Werk können Besucherinnen und Besucher jetzt Dinge sehen, die jahrhundertelang verborgen waren. Neue farbliche Eindrücke lassen inhaltliche Rückschlüsse über die Zeit der Entstehung des Kunstwerks zu. Zu den vielen Details, die auf diesem wichtigen Werk der Kunstgeschichte nun neu zu entdecken sind, gehört auch dieses: Auf der Wange der Mutter Christi lässt sich eine Träne erahnen.