Alexandr Cernomoret führt mit seiner Frau „Anna’s Style“ in Fellbach. Foto: Gottfried Stoppel

Alexandr Cernomoret engagiert sich als ehrenamtlichen Sprachbegleiter für Flüchtlinge aus der Ukraine. Der Fellbacher kommt aus der Republik Moldau und spricht russisch.

In einem kleinen Bereich in dem Modegeschäft in der Fellbacher Stadtmitte können die Kunden Platz nehmen, eine Pause beim Einkaufsbummel machen und einen Kaffee trinken. Heute sitzen dort Valeria und Oksana, beide Frauen sind wegen des Krieges aus der Ukraine geflohen und versuchen nun, hier in Fellbach Fuß zu fassen.

Valeria stammt aus Kiew und hat den Bombenkrieg selbst erlebt

Valeria, die ebenso wie Oksana lieber nur mit ihrem Vornamen in der Zeitung genannt werden möchte, stammt aus einem Vorort von Kiew. „Das Quartier ist nicht weit von Butscha entfernt“, sagt Alexandr Cernomoret. Die Bilder aus Butscha von Leichen, die auf den verwüsteten Straßen liegengelassen wurden neben Fahrrädern und plattgewalzten Autos, haben sich in die Köpfe der Menschen auf der ganzen Welt gebrannt. Valeria habe erlebt, wie zahlreiche Häuser zerbombt wurden. Alexandr Cernomoret übersetzt bei dem Treffen in dem Modegeschäft „Anna’s Style“ in der Cannstatter Straße, das er seit vielen Jahren in Fellbach zusammen mit seiner Frau Anna führt. Valeria nickt und macht immer wieder deutlich, dass sie viel verstehe, aber die deutsche Sprache noch nicht gut genug sprechen könne. Durch Bekannte hat Valeria Kontakt mit dem Ehepaar Cernomoret bekommen. „Wir haben uns sofort entschieden, sie zu unterstützen“, sagt Alexandr Cernomoret.

Sie seien bei der Wohnungssuche behilflich gewesen. Inzwischen wohne sie einem Zimmer in einer Wohnung, sagt Valeria und sei darüber sehr froh. Sie hat einen Sprachkurs in Waiblingen absolviert. „Wir haben viel Bürokratie erledigt“, sagt Alexandr Cernomoret. Valeria berichtet, dass sie in der Ukraine in der Werbebranche gearbeitet hat. Die Agentur gebe es aufgrund des Krieges nicht mehr. „Sie hat einen Hochschulabschluss und möchte hier möglichst schnell beruflich eine Perspektive“, sagt Alexandr Cernomoret. Und dabei möchte er sie genauso wie Oksana unterstützen.

„Ich möchte nicht nur übersetzen, ich möchte bei der Integration helfen“, sagt der Mann, der selber erfahren hat, was es bedeutet, sich ein neues Leben in einem fremden Land aufzubauen. Er stammt ursprünglich aus der Republik Moldau, dem kleinen Nachbarland der Ukraine. Die ehemalige Sowjetrepublik zählt etwa 2,6 Millionen Einwohner und ist eines der ärmsten Länder Europas. Seit fast 20 Jahren führen die Cernomorets das Modehaus in Fellbach. Zuvor hatte das Ehepaar schon ein Modehaus in Karlstadt am Main geführt, einer Stadt rund 30 Kilometer nördlich von Würzburg. Auch dort hätten sie sich sozial engagiert. Beispielsweise haben sie eine Familie eines SOS-Kinderdorfes aus dem nahen Gemünden zwei Mal im Jahr komplett eingekleidet, berichten sie. Beide haben damals in Moskau das Studium von Kultur und Kunst abgeschlossen, bei dem sich auch kennengelernt haben. Den Wechsel in eine ganz andere Branche und in ein anderes Land haben sie gemeistert. Und auch junge Menschen ausgebildet. „Das alles können wir in der Begleitung der Menschen aus der Ukraine einfließen lassen“, sagt Alexandr Cernomoret.

Der erste Kontakt entstand über die vierbeinigen Begleiter

Oksana, die an dem Vormittag auch zu dem Treffen gekommen ist, ist seit April vergangenen Jahres in Fellbach. Die 51-Jährige Ingenieurin stammt aus einem Vorort aus Odessa. Der erste Kontakt zu der Frau, die aus dem Kriegsgebiet mit ständigem Beschuss geflohen ist, ist über ihre vierbeinigen Begleiter entstanden. „Luna und Chapa haben sich getroffen und verstanden“, sagt Cernomoret. Damit meint er seine weiße Pekinesin und den kleinen Hund, den Oksana in den Armen hält und aus der Ukraine mitnehmen konnte.

Ehrenamtliche Dolmetscher helfen bei den Schritten im Alltag

Oksana warte noch auf einen Sprachkurs, lerne so lange für sich selber die deutsche Sprache. „Alles ist neu, das tägliche Leben, dazu gehören Besuche beim Arzt, bei Behörden, die Beschaffung von Dokumenten und vieles mehr“, erklärt Cernomoret. Er ist einer der ehrenamtlichen Sprachbegleiter der Stadt. „Sprachbegleiter möchten helfen, Sprachlosigkeit zu vermeiden. Die Engagierten gehen mit in Kindergärten, Schulen, soziale Einrichtungen, Ämter oder Behörden. Sie übersetzen Gespräche wörtlich, mündlich und neutral, damit Missverständnisse gar nicht erst entstehen“, heißt es auf der Homepage der Stadt, wo über das Angebot informiert wird. Das reine Dolmetschen übernimmt Cernomoret auch. „Dann übersetze ich beispielsweise bei einem Arztbesuch “, berichtet er. Doch man spürt, seiner Frau und ihm liegt am Herzen, dass sie erleben, wie die Unterstützung nach und nach Früchte trägt und dazu braucht es einen längeren Atem. Er freue sich beispielsweise, dass eine 27-Jährige aus Odessa, die in internationaler Logistik tätig war, inzwischen erste Schritte in einem neuen Job kombiniert mit einem Sprachkurs mache. „Wir bleiben als Ansprechpartner dabei“, sagt er. „Ich sehe mich ein bisschen wie einen Bauer“, sagt Cernomoret „mich freut es sehr, wenn die Saat aufgeht und die Menschen ihr neues Leben meistern, „aber Kraft und Wille kommen von den Geflüchteten, wir begleiten sie nur dabei.“

Dolmetschen
 Der Pool aus ehrenamtlichen Sprachbegleitern besteht aus rund 80 Übersetzern, die 31 Sprachen abdecken. Wer Interesse hat, kann sich melden bei Daniela Sarette vom Amt für Soziales und Teilhabe per E-Mail an dolmetschen@fellbach.de. Voraussetzung sind gute Deutschkenntnisse sowie Kenntnisse einer oder mehrerer Sprachen, Zuverlässigkeit und Diskretion.

Sprachen
 Die Sprachen, die derzeit in Fellbach angeboten werden reichen etwa von Albanisch, Arabisch, Berberisch, Bosnisch, Bulgarisch, Chinesisch über Hindi, Kroatisch, Kurdisch, Mazedonisch, Persisch, Russisch, Serbisch, Slowenisch, Türkisch, Ungarisch, Urdu bis Vietnamesisch.