Die Bionik-Abteilung von Festo hofft, mit Wasserstoffspeichern und Algenfabriken dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Auf dem Weg dahin sehen die Forscher des Esslinger Unternehmens jedoch nicht nur technologische Hürden.
Die Natur kenne keine Abfälle, sagt Michael Sinsbeck. „Das ist ein rein menschliches Konzept“, fügt der Wissenschaftler von Festo hinzu. Er leitet bei dem Esslinger Unternehmen die Bionik-Abteilung, die jetzt bei einem Innovationstag Zukunftskonzepte vorstellte. Der Begriff Bionik bezeichnet laut Sinsbeck „von der Natur inspirierte Technik“. Es gehe darum, von biologischen Prozessen zu lernen und die Erkenntnisse industriell umzusetzen. Denn: „Alles, was wir in der Natur beobachten, ist in irgendeiner Form optimal.“
Bislang prägen Roboter, die Bewegungen aus dem Tierreich nachahmen, das öffentliche Bild der Bionik. In diese Richtung wird auch bei Festo geforscht. So hebt am Innovationstag eine mechanische Biene ab, die autonom im Schwarm fliegen kann. Inzwischen habe sich jedoch ein neues Hauptthema herauskristallisiert, sagt Sinsbeck. Seine Abteilung arbeitet verstärkt daran, mithilfe von Bakterien Kreisläufe zu erzeugen. Das Ziel ist es, dass künftig auch bei technologischen Prozessen keine Abfälle mehr entstehen.
Wundergas Wasserstoff und Alleskönner Alge
Wie das funktionieren kann, zeigt die „Hydrogen Battery“, ein Lager für Wasserstoff. Das volatile Gas wird in der klimapolitischen Diskussion immer wieder als potenzieller Heilsbringer für die Energiegewinnung genannt. Bislang sei jedoch die Speicherung ein großes Problem, sagt Adrian Eilingsfeld, ebenfalls aus der Bionik-Abteilung. Er fügt hinzu: „Derzeit schaffen wir es in Deutschland nicht einmal, Strom von Norden nach Süden zu bewegen.“ Und bei dem explosiven Wasserstoff stelle sich der Transport um einiges komplizierter dar.
Deshalb soll die „Hydrogen Battery“ Abhilfe schaffen. Dabei werden Wasserstoff und CO2 mithilfe von Bakterien gebunden, sodass die sogenannte Ameisensäure entsteht. Das geschieht Eilingsfeld zufolge bei vergleichsweise niedrigen Temperaturen und ist deshalb deutlich energieeffizienter als andere Verfahren zur Speicherung von Wasserstoff. Außerdem lasse sich die Säure risikoarm transportieren. Am Zielort kehren die Bakterien den Prozess um und zerlegen die Ameisensäure wieder in Wasserstoff und CO2. Ersterer kann zur Stromerzeugung verwendet werden, zweiteres ist bei der Herstellung von veganem Fleisch oder Getränken nutzbar. Und mit den Bakterien selbst lässt sich die nächste Ladung Wasserstoff und CO2 binden.
Außerdem arbeitet Festo an einem weiteren Kreislaufprozess: der „Bionic Cell Factory“. Das Projekt ist die Erweiterung eines Bioreaktors, den der Betrieb mit Sitz im Stadtteil Berkheim bereits 2022 auf der Industrieschau Hannover Messe vorgestellt hat. Hier setzt das Unternehmen auf den Alleskönner Alge. Zunächst entnimmt die Modellfabrik CO2 aus der Luft. Mit dem klimaschädlichen Gas wird eine Algenkolonie in hellgrün leuchtenden Röhren gefüttert. Die Wasserpflanzen verwandeln das CO2 dann mittels Fotosynthese in Energie und Biomasse. „Damit können wir am Ende Glyzerin und Biosprit herstellen“, sagt Sebastian Schrof, Industriedesigner bei Festo. Bislang werden Alltagsgegenstände wie Trinkflaschen, Duschgel oder Sportkleidung meist auf Erdölbasis produziert. Der fossile Brennstoff ist jedoch nicht nur endlich, sondern bei der Verwertung auch äußerst umweltschädlich. Schrof zufolge ist die Algenfabrik eine klimafreundlichere Alternative. Er sagt: „In diesem Prozess wird nur so viel CO2 freigesetzt, wie wir vorher entnommen haben, der Kreislauf ist also geschlossen.“
Technologie als Zukunftshoffnung
Bei aller Zuversicht schränkt Adrian Eilingsfeld ein: „Die Prozesse funktionieren im Labor, aber noch nicht automatisiert in großem Maßstab.“ Grundsätzlich sagt der Forscher: „Wir haben gute Konzepte in den Schubladen.“ Allerdings vermisst er teilweise die aus seiner Sicht notwendige politische Risikobereitschaft, Innovationen im großen Stil umzusetzen. Angesichts der Herausforderung Klimawandel ist sich Eilingsfeld sicher: „Einen gewissen Technologieoptimismus sollten wir haben, um guten Gewissens in die Zukunft blicken zu können.“
Das sieht sein Kollege Michael Sinsbeck ähnlich. Der Leiter der Bionik-Abteilung räumt ein, dass sich einige Klimaprobleme theoretisch durch Verzicht lösen ließen. Der Wunsch nach Wohlstand müsse jedoch ebenfalls berücksichtigt werden. „Deswegen sind die neuen Technologien wichtig“, sagt Sinsbeck. Den Umsatzrückgang von Festo im vergangenen Jahr habe auch sein Team zu spüren bekommen. Allerdings seien die Budgetkürzungen gleichmäßig im Unternehmen verteilt und nicht nur auf die Forschung gelegt worden. Dieser Bereich ist zwar oft nicht unmittelbar profitabel. Dafür sagt Sinsbeck: „Die Innovation macht uns langfristig erfolgreich.“
Das ist die Firma Festo
Mitarbeitende
Bei Festo waren laut dem Unternehmen Ende 2022 insgesamt rund 20 800 Personen beschäftigt – gut 12 200 davon im Ausland. Von den 8600 Personen in Deutschland arbeiteten 5069 am Stammsitz in Esslingen-Berkheim. Im Jahr 2021 waren es insgesamt ungefähr 20 700 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Umsatz
Die Festo-Gruppe hat nach eigenen Angaben 2023 einen Umsatz von 3,65 Milliarden Euro erreicht. Damit habe der Hersteller von Automatisierungstechnik ein Minus um 4,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr mit 3,36 Milliarden Euro erzielt.
Geschichte
1925 legten Gottlieb Stoll und Albert Fezer den Grundstein für das Unternehmen. Sie sind als Firmengründer auch Namensgeber – aus den Nachnamen Fezer und Stoll entstand Festo. Anfangs produzierte die Firma laut Homepage Geräte für die Holzbearbeitung wie Fräs-, Bohr- und Schleifmaschinen.