Mai 2022: Nancy Faeser freut sich über ihre Wiederwahl als hessische SPD-Vorsitzende auf dem Landesparteitag in Marburg. Foto: dpa/Andreas Arnold

Bundesinnenministerin Nancy Faeser will offensichtlich als Spitzenkandidatin der SPD in den hessischen Landtagswahlkampf ziehen – in dieser Zeit aber auch Ressortchefin in Berlin bleiben. Diese Doppelrolle stößt auf Kritik.

Es war alles minutiös geplant: Auf ihrem Hessen-Gipfel im osthessischen Friedewald wollte die SPD-Landespartei am Freitagnachmittag endlich die Katze aus dem Sack lassen und mitteilen, mit wem an der Spitze sie am 8. Oktober in die Landtagswahl zieht. Bis zuletzt ließ sie offen, ob die hessische SPD-Chefin und amtierende Bundesinnenministerin Nancy Faeser wirklich in den Dreikampf gegen Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und seinen Stellvertreter Tarek Al-Wazir von den Grünen geht oder lieber Ressortchefin in Berlin bleibt. Drei Tage vor dem groß inszenierten Auftritt wurde das Rätsel aber am Mittwoch schon gelöst: Faeser macht einfach beides. Sie wird Spitzenkandidatin im Land Hessen und bleibt zugleich Ministerin im Bund.

Die Exklusivmeldung der „Süddeutschen Zeitung“ über eine entsprechende Verabredung zwischen Faeser und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wurde zwar nicht offiziell bestätigt und vom Sprecher der Landespartei als „Spekulation“ bezeichnet. Offizielle Äußerungen soll es nach wie vor erst am Freitag in Friedewald geben. Doch ein hartes Dementi sieht anders aus, und in Wiesbaden war am Dienstag innerhalb und außerhalb der SPD niemand zu finden, der die Darstellung noch in Frage stellte. Bei dem Treffen in Osthessen werden die sozialdemokratischen Ministerpräsidentinnen von Rheinland-Pfalz und dem Saarland, Malu Dreyer und Anke Rehlinger, an Faesers Seite stehen, um den Anspruch zu demonstrieren, dass auch die Hessin nach der Wahl im Herbst als neue Kollegin zu dem Kreis gehören soll.

„Mein Herz ist in Hessen“

Dass die erst vor einem Jahr überraschend ins Bundeskabinett berufene Juristin schon wieder das nächste Amt ansteuert, ist keine Überraschung mehr. Schließlich hat die heute 52-jährige bereits auf dem Landesparteitag der hessischen SPD im Mai vergangenen Jahres in Marburg ausgerufen: „Mein Herz ist in Hessen.“

Zwar war zwischenzeitlich der Name des Offenbacher SPD-Oberbürgermeisters Felix Schwenke als möglicher Ersatzkandidat für den Fall kolportiert worden, dass Faeser doch absagen würde. Doch ein solcher Verzicht wäre allgemein so verstanden worden, als würde die Partei den Kampf um die Wiesbadener Staatskanzlei schon aufgeben. Doch unklar blieb zunächst die Antwort auf die spannendere Frage, ob sie trotzdem Innenministerin im Bund bleibt oder dieses Amt zumindest nach der Landtagswahl unabhängig von deren Ausgang abgibt.

Kandidatur mit Rückfahrkarte

Inzwischen scheint klar, dass Faeser nur bei einem Wahlsieg als Ministerpräsidentin nach Wiesbaden zurückkehrt. Oppositionsführerin im Landtag will sie nicht noch einmal werden.

Die Kritik an einer solchen Kandidatur mit Rückfahrkarte nach Berlin wird sie sich von den anderen Parteien im Wahlkampf sicher öfter anhören müssen. Schon am Dienstag gab es die erste Rücktrittsforderung: Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), forderte Faeser auf, als Bundesministerin zurückzutreten, wenn sie sich tatsächlich am Freitag zur Spitzenkandidatin in Hessen ausrufen lässt.

„In diesen herausfordernden Zeiten, wo in Europa Krieg herrscht, wo die Sicherheitsbehörden mit Reichsbürgern, Rechtsextremisten und vereitelten Terroranschlägen alle Hände voll zu tun haben, wäre es unverantwortlich, neben einem Wahlkampf auch das Innenministerium zu führen“, sagte er in Berlin. Und mit dem Grünen Konstantin von Notz sowie dem FDP-Politiker Wolfgang Kubicki meldeten sich auch Bundestagsabgeordnete aus den Partnerparteien der SPD in der Ampelkoalition mit Kritik an der Doppelrolle zu Wort.

Faeser hat Rückendeckung durch Olaf Scholz

Gegner Nancy Faesers erinnern an den ehemaligen Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), der erst die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und dann auch sein Amt im Bundeskabinett verlor, nachdem er ebenfalls „mit Rückfahrkarte“ angetreten war.

Die SPD verweist aber als Gegenbeispiel auf Manfred Kanther, der als CDU-Spitzenkandidat in Hessen scheiterte und danach noch drei Jahre lang Bundesinnenminister blieb. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz seine Kabinettskollegin nach einer Niederlage entlassen würde wie einst Angela Merkel ihren Parteifreund Röttgen, gilt indes als ausgeschlossen. Außerdem will Faeser ja gewinnen. Ihr gutes Verhältnis zur hessischen FDP soll ihr dabei zu mehr Koalitionsoptionen verhelfen.