Da war die Welt für Karl-Theodor zu Guttenberg noch in Ordnung, mit der Plagiatsaffäre wurde es dann hässlich. Foto: dpa - dpa

Von Hermann Neu

Esslingen – Gelogen wird immer: in der Politik wie im Wirtschaftsleben, in Beichtstühlen und im Privaten sowieso. Bis aber das Strapazieren der Wahrheit beispielsweise in der Politik personelle Konsequenzen hat, dauert es in der Regel lange. Eher selten sind die Fälle, wo unsauberes Agieren juristische Folgen hat und die Verantwortlichen verurteilt werden. Und meist ist in der Politik nicht die Lüge selbst der Grund für Konsequenzen – fatal wird vielmehr der ungeschickte und meist mit weiteren Unwahrheiten verbundene Umgang mit einem Skandal.

Beispiele gefällig, etwa aus dem Land? Als der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth Anfang des Jahres 1991 zurücktrat, waren ihm schlicht die Unterstützer von der Fahne gegangen. Der CDU-Politiker hatte nach anfänglichem Leugnen in typischer Salamitaktik Luxusreisen und eine Unzahl Flüge auf Kosten von Firmenchefs zugeben müssen. Auch ein politischer Schwenk weg von der möglichst zügigen Einführung von Abgaskatalysatoren für Autos war mehr als dubios – Späth hatte ihn nach einem Kanada-Urlaub mit dem damaligen Mercedes-Chef Werner Niefer vollzogen. Irgendwann wurde es der Partei zu bunt – Späth musste gehen, was ihm eine fast lückenlos anschließende Karriere in der Wirtschaft nicht verbaut hat.

Strauß blieb immer standfest

Andere Politiker hatten da schon ganz andere Skandale ausgestanden – der bayerische Ministerpräsident und vormalige CSU-Bundespolitiker Franz Josef Strauß etwa. Die Spiegel-Affäre, bei der er die Unwahrheit gesagt hatte, war für ihn ein Karriereknick. Aus der Bahn geworfen hat ihn das aber ebenso wenig wie dubiose Beschaffungsaktionen von Starfighter-Kampfjets oder Panzern.
Doch so weit muss man gar nicht in die Historie zurückgreifen: Die plagiatsbedingten Rücktritte des einstigen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im Jahr 2011 etwa und der Bildungs- und Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) 2013 sind noch wesentlich stärker präsent. Guttenberg wurde zum Verhängnis, dass er die Latte selbst zu hoch gelegt hat: Glanz und Glamour, eine Was-kostet-die-Welt-Pose am Times-Square in New York – wer sich so selbstsicher präsentiert wie der fränkische Freiherr, bei dem darf nichts im Ungefähren sein. Ist die Doktorarbeit dann in weiten Teilen abgekupfert, hilft kein Leugnen und kein Taktieren. Ende Gelände auf längere Frist – inzwischen robbt sich Guttenberg erneut in Richtung Politszene.

Noch extremer sieht es bei Schavan aus. Von ihr kam als Ministerin in den Zeiten, in denen es Guttenberg an den Kragen ging, mit die schärfste Kritik. Legendär das Foto, das sie am 31. März 2011 mit Kanzlerin Angela Merkel auf der Computermesse Cebit zeigt, wo Schavan sich auf dem Smartphone der Kanzlerin die Nachricht über Guttenbergs soeben verkündeten Rücktritt anschaut. Ein Paradebeispiel für klammheimliche Freude.

Wer so agiert und sich am freien Fall anderer erfreut, der darf sich über verschärfte Beobachtung nicht wundern. Und siehe da: Alsbald wird im Gegenzug auch die Doktorarbeit Schavans einer detaillierteren Betrachtung unterworfen – mit bekanntem Ausgang. Doch Botschafterin im Vatikan als Anschlussverwendung ist auch keine allzu harte Strafe. Doch all dies sind eigentlich nur Kostproben dessen, was in der Gegenwart über die Bühne geht. Kräftig an der Beschleunigung des Lügenkarussells mitgewirkt haben die ungeahnten Möglichkeiten der elektronischen Medien und sozialen Netzwerke.

Strapaziert wie ein dehnbares Gummi

Wenn interessierte russische Kreise also zur Destabilisierung der liberalen und offenen Bundesrepublik die Lüge streuen, dass die Tochter von Russlanddeutschen vergewaltigt worden sei, die Nachricht aber vom deutschen Staat unter dem Deckel gehalten werde, dann ist das an sich schon eine Sensation. Stellt sich im Verlauf der Fake-Nachricht aber heraus, dass viele Russlanddeutsche sogar nach einer erwähnenswerten Aufenthaltszeit in Deutschland dem russischen Staatsfernsehen mehr glauben, als den Medien hierzulande, dann wird ein Politikum daraus. Den Vogel schießen mittlerweile nach der Wahl von Donald Trump die USA ab. Aus Wahlkampfzeiten kennt man es ja, dass die Wahrheit immer wieder einen Totalschaden erleidet. Üblicherweise kehrt wieder Normalität ein, wenn ein Politiker mit dem Wahlsieg den ersehnten Posten erobert hat. Nicht so jenseits des Großen Teiches, wo quasi in der Verlängerung von Trumps testosterongeschwängertem Wahlkampfmodus immer noch völlig andere Regeln gelten.

So wird sich die Welt in wahrlich postfaktischen Zeiten daran gewöhnen müssen, dass die Wahrheit strapaziert wird wie ein in alle Richtungen dehnbares Gummi. Und erstmals besteht die reale Gefahr, dass es im ausufernden Sumpf der absehbar weiter zunehmenden Daten- wie auch Lügenflut selbst den Klugen schwerfällt, die Tatsachen herauszusieben.