Wenn sich ein Ex-Ehepaar nicht einigen kann, ist eine Versteigerung das letzte Mittel. Foto: Adobe Stock/Marcus Hofmann - Adobe Stock/Marcus Hofmann

Weil das Angebot auf den Immobilienportalen immer geringer wird, versuchen immer mehr Familien und Investoren ihr Glück bei Versteigerungen. Eindrücke aus dem Amtsgericht Esslingen.

EsslingenEs ist still im Sitzungssaal 11 des Amtsgerichts Esslingen an diesem Januarmorgen gegen 10.30 Uhr. An die 40 Personen sitzen in den Stuhlreihen oder stehen an den Wänden in dem kleinen, übervollen Raum. Wenige junge Paare und überwiegend Männer im mittleren und fortgeschrittenen Alter. Am Ende des Raumes wartet die zuständige Rechtspflegerin an einem Tisch sitzend auf Gebote. Sie leitet die sogenannte Teilungsversteigerung eines Einfamilienhauses in Esslingens Höhenlagen – ein mehrstöckiges Wohngebäude mit Pavillon, Garage und Grundstück, umgeben von Wiesen auf der Südseite und freiem Blick ins Neckartal. Der Gutachter hat das Objekt mit 910 000 Euro bewertet. Doch seit bald zehn Minuten bietet niemand mehr. Nachdem ein Herr mit grauem Haar wenige Minuten nach Beginn der Bietezeit als Erster 510 000 Euro in die Waagschale warf, folgte kurz darauf ein Zweiter mit einem Angebot über 530 000 Euro. Weitere zwei Minuten später trat ein Mann Anfang 40 zur Rechtspflegerin an den Tisch, wies sich aus – und erhöhte auf 800 000 Euro. Bis zum Ende des Verfahrens gegen 10.45 Uhr wird er nicht mehr überboten. Er erhält den Zuschlag.

Viele zur Probe bei Bieterverfahren

„Ich hatte erwartet, dass die Schlagzahl höher ist“, sagt Isabelle Brenner. „Ich glaube, viele waren geschockt von dem hohen dritten Angebot.“ Das bestätigt ein 65-Jähriger, der ein Anlageobjekt will. Normalerweise suche er dabei ganz klassisch nach Angeboten. „Im Moment ist es schwer, an Immobilien ranzukommen. Der Markt ist heißgelaufen.“ Nach dieser Versteigerung, seiner ersten, wolle er es weiter bei Bieterverfahren versuchen. Die 24 Jahre alte Brenner und ihr Freund wollten nicht bieten. Vielmehr waren die zwei da, um den Ablauf kennenzulernen. Das berichtet auch Leonie Weis, die mit ihrem Mann und ihrer drei Monate alten Tochter im Tragetuch an ihrem Bauch vor Ort ist. Sie haben eigentlich Interesse an einem Haus, das in der Folgewoche unter den Hammer kommt und mehr dem Budget der jungen Familie entspricht. „Wir haben die Hoffnung, so günstiger an Objekte ranzukommen – zumal der Markt gerade einfach leer gefegt ist“, erzählt die 32-Jährige.

Doch diese Hoffnung könnte enttäuscht werden, erklärt die zuständige Rechtspflegerin beim Telefongespräch am Mittag nach der Versteigerung. In der Regel orientiere sich der endgültige Preis derzeit am vom Gutachter festgelegten Verkehrswert, liege oft auch deutlich drüber: „Man spürt das mangelnde Angebot an Wohnraum“, sagt sie. In Stuttgart lägen die Angebote teils bei 200 oder 400 Prozent des Werts der Immobilie. Dass an diesem Morgen wenig geboten wurde, sei für sie überraschend. „Bei einem Objekt in dieser Preisklasse hätte ich erwartet, dass mehr Paare kommen und Familien.“ Normalerweise überböten sich die Teilnehmer zudem in kleineren Schritten.

„Das Interesse bei Versteigerungen ist sehr hoch“, sagt die Rechtspflegerin, die gemeinsam mit einer Kollegin am Amtsgericht Esslingen nach ihrer Schätzung 70 bis 80 Versteigerungen pro Jahr leitet und namentlich nicht genannt werden will. Die Anzahl der Versteigerungen habe sich in den vergangenen Jahren eher verringert, was die Expertin auf die gute wirtschaftliche Lage zurückführt. Zwar bestünden die typischen Schuldenfallen weiter: Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Krankheit. Doch die Fälle, in denen Gläubiger die Zwangsversteigerung eines Grundstücks oder einer Immobilie beantragen, gehen zurück. Dagegen sei die Zahl der Teilungsversteigerungen, die im Streitfall von einem Teil einer Eigentümergemeinschaft beantragt werden, gestiegen. In der Regel können sich in solchen Fällen beispielsweise Exehepartner nach einer Scheidung oder Erbengemeinschaften nicht darauf einigen, was mit einem gemeinsamen Grundstück oder einer gemeinsamen Immobilie passiert. Durch die Teilungsversteigerung wird die „unteilbare Immobilie in teilbaren Erlös (Geld) umgewandelt, über dessen Auszahlung sich die früheren Miteigentümer dann einigen müssen“, erklärt das Esslinger Amtsgericht auf seiner Webseite.

Persönliche Schicksale

Auch der Fall an diesem Morgen am Amtsgericht hat eine Vorgeschichte: Versteigert wird das Haus nach der Scheidung der bisherigen Eigner. Beide Ex-Ehepartner sind an diesem Morgen im Sitzungssaal. Die Frau mit ihrem Anwalt exponiert am Tisch, der quer zu dem der Rechtspflegerin steht. Ob es seltsam sei, dabei zuzusehen, wie Fremde Gebote für das frühere Zuhause abgeben? Nein, sie habe damit abgeschlossen, sagt die Frau mit einem etwas gequält wirkenden Lächeln nach dem Bieterverfahren. Ihr neuer Partner gab eines der Angebote ab, ist aber nicht zum Zuge gekommen. Nein, er sei nicht enttäuscht. Er habe sich ein Limit für den Kaufpreis gesetzt. Der Ex-Mann sitzt neben seiner Tochter in der ersten Reihe der Bieter – und dem Mann, der am Ende den Zuschlag für das Haus erhält. Sie kennen sich seit 20 Jahren. „Es ist nicht schön“, beschreibt der bisherige Inhaber seine Gefühlslage. Er sei aber froh, dass ein Freund das Haus gekauft habe. Der neue Besitzer sagt, er wisse noch nicht, was er damit anfangen wolle, eventuell nutze er es als Anlageobjekt. Eigentlich habe er gar nicht nach Immobilien gesucht. „Aber das ist ein besonderes Haus“, sagt er.

Infos zum Prozedere

  • Interessenten rät die Rechtspflegerin vom Amtsgericht Esslingen, sich vor dem eigentlichen Termin für das Objekt des eigenen Interesses Versteigerungen anzusehen, um den Ablauf kennenzulernen und zu erfahren, worauf es ankommt.
  • In der Regel sind Gebote ab der Hälfte des vom Gutachter bestimmten Verkehrswertes zuschlagsfähig. Wer bietet, muss sich bei der Rechtspflegerin ausweisen und oft eine Sicherheit über zehn Prozent des Verkehrswertes in Form eines Schecks oder einer Vorabüberweisung hinterlegen. Den Kaufpreis muss der Bieter, der den Zuschlag erhält, meist innerhalb von acht Wochen an das Gericht überweisen – mit einem Jahreszins von vier Prozent.
  • Vieles erfährt der Teilnehmer erst beim Versteigerungstermin. Vorab hat er lediglich das Gutachten, das öffentlich beim Amtsgericht einsehbar ist oder gegen eine Gebühr bestellt werden kann, als verlässliche Informationsquelle. Ein kurzes Exposé ist auf dem Portal für Zwangsversteigerungen zvg.com einsehbar. Eine Besichtigung vor der Versteigerung sei selten möglich, meint die Esslinger Rechtspflegerin. Der Kauf eines Hauses bei einer Versteigerung ist also ein wenig wie der einer Katze im Sack: ohne Garantie und Gewährleistungsansprüche.