Tangolehrerin Liane Schieferstein Foto: privat

Der Immobilienwahnsinn bereitet auch Kulturschaffenden große Sorgen. Der Fall einer Tangolehrerin steht dafür exemplarisch.

Stuttgart - Die freie Kunst- und Kulturszene hat es nicht leicht in der Stadt. Ganz gleich, ob Tanz, Musik, Kleinbühne oder auch Yogastudios: Wer einen passenden Raum sucht, lernt schnell die erbarmungslosen Gesetze der Immobilienbranche kennen. Und die Preise – ganz gleich ob beim Wohnen oder Gewerbe: Derzeit liegen die Mieten laut Immobilien-Unternehmen Colliers bei Bestandswohnungen im Schnitt bei 13,55 Euro pro Quadratmeter. Für ein Büro muss man 16,60 Euro pro Quadratmeter Durchschnittsmiete bezahlen. Viel Geld für einen Kleinkünstler oder Tangolehrer.

Der Markt ist leergefegt

Aber selbst wenn einer die Kraft aufbrächte, die teure Miete zu erwirtschaften, dürfte er bereits bei der Suche nach einem passenden Objekt scheitern. „Man findet in Stuttgart schlicht nichts“, sagt Liane Schieferstein. Die Tangolehrerin weiß, wovon sie spricht. Ihr letztes Domizil im Westen suchte sie acht Jahre lang. Dann kam Corona, die erzwungene Tatenlosigkeit mit allerlei Verordnungswirrwarr und damit das Aus für das „Cielo“. Seitdem sucht Schieferstein neue Räume, „um ähnlich wie beim Cielo einen Tanz- und Seminarraum zu erschaffen“.

Einen Raum im Blick

Das Glück meinte es zuletzt vermeintlich gut mit ihr. Sie profitierte vom Auszug von „Yoga Loft“ aus der Breitscheidstraße 106 A. Um diesen Raum kämpft Liane Schieferstein nun. Um die Schwierigkeit ihrer Situation bildhaft zu machen, erzählt sie gerne eine Metapher: „Es ist, als wenn ein Zebra mit fünf Kindern eine Bleibe sucht. Dann muss man erst einmal jemand finden, der Zebras mag. Aber wenn das Zebra dann sagt, ich habe kein Geld, wird es ganz schwer.“ Mit anderen Worten: Eigentümer und Vermieter mögen tierlieb sein, aber am Ende geht es immer ums Geld. „Leider sind auf dem Immobilienmarkt finanzielle Sicherheiten sehr wichtig. Als Betreiberin einer Tangoschule mit sieben Monaten Betriebsschließung hinter mir kann ich derzeit natürlich keine überzeugenden Zahlen und Jahresabschlüsse vorlegen“, sagt die Tangolehrerin.

18 000 Euro fehlen

Dennoch bestehe eine kleine Chance, „dass der Eigentümer mir den Raum trotzdem überlässt“. Allerdings will er als Sicherheit eine Vorkasse in Höhe von sechs Monatsmieten und eine Kaution. In diesem Fall geht es summa summarum um 18 000 Euro. Geld, das Liane Schieferstein nicht hat. Aufgeben will sie dennoch nicht: „Als bewusste Träumerin, die gerne dem kalten Verstand mit Mut und Fantasie begegnet, möchte ich nun noch mal die Türen öffnen und um Eure Unterstützung bitten“, schreibt sie in ihrem Newsletter und bittet um Spenden: „Wer die Idee gut findet, ein ehemaliges Yogastudio vor der Bürowerdung zu retten und dadurch im Stuttgarter Stadtkern einen Begegnungsraum ins Leben zu rufen, darf gerne einen Beitrag leisten.“

Künstler leiden

Hinter dem Eigeninteresse steckt allerdings noch die Sorge um die freie Kunst- und Kulturszene in der Stadt. Der Szene werde angesichts der Immobilienlage im Kessel die Luft abgedreht. Der Trend zu teuren Lofts oder Büroräumen lasse viele Ideen erst gar keinen Raum – oder bedrohe die freie Szene in ihrer Existenz. Schieferstein nennt das Beispiel Tango Loft in der Hackstraße 77. Die Kündigung an die Tangoschule-Betreiber war quasi schon im Briefkasten, weil dort, wo eine Mischung aus Wohnen, Gewerbe, Kultur und einer Bildungseinrichtung blühten, teure Lofts entstehen sollten. Auch das „Tango Loft“, seit 2003 eine Institution in der Stuttgarter Tangoszene, war damit vom Aus bedroht. „Wenn die Stadt ihr Vorkaufsrecht für das Gebäude nicht genutzt hätte, wäre das Tango Loft am Ende gewesen“, sagt Schieferstein und denkt an die vielen anderen namenlosen und unbekannten Menschen in der Kulturszene, die dem Immobilienwahnsinn zum Opfer gefallen sind.

Stadt will helfen

Was die Tanguerra ausspricht, ist der Stadtverwaltung und auch Kulturamtsleiter Marc Gegenfurtner freilich nicht unbekannt. „Wie in fast jeder Großstadt stellt der Mangel an bezahlbaren Arbeitsräumen für freischaffende Künstlerinnen und Künstlern ein Problem dar“, erklärte eine Sprecherin nach Darstellung der Problematik. Aber im Rahmen ihrer Möglichkeiten böte die Landeshauptstadt Stuttgart verschiedene Unterstützungsmaßnahmen an. Etwa die Wirtschaftsförderung. Die Stabsstelle könne durch ihr Leerstands- und Zwischennutzungsmanagement (LZM) „im Sinne der regen Stuttgarter Standortentwicklung aktiv und zielorientiert unterstützen“. Dafür gebe es zahlreiche Beispiele.

Nicht nur das. Zur Unterstützung der freien Kunstszene im Bereich Bildende Kunst können professionelle Bildende Künstlerinnen und Künstler im Rahmen der Atelierförderung (Ziffer 3 der Atelierrichtlinien) einen Zuschuss zur Finanzierung der Ateliermiete beantragen. Der Zuschuss beträgt 50 Prozent der monatlichen Kaltmiete, maximal 300 Euro.

Es gibt Probenräume

Das Kulturamt verwaltet zudem drei städtische Probenräume, die von Freien darstellenden Kulturschaffenden kostenfrei genutzt werden können. Priorisierten Zugang haben hier Gruppen von Künstlern, deren Projekte durch das Kulturamt gefördert werden. Nach Möglichkeit werden die Räume jedoch auch darüber hinaus vergeben. In diesem Jahr konnten über 30 Gruppen hier ihre Arbeiten realisieren. Durch die starke Nachfrage und die projektbasierte Arbeit Freier Künstlerinnen und Künstler, die eine zeitliche Flexibilität und eine blockweise Nutzung von Räumen erfordert, ist eine regelmäßige Nutzung etwa im Rahmen wöchentlich wiederkehrender Termine aber nicht möglich.

Mehr noch: Das durch die Landeshauptstadt Stuttgart institutionell geförderte Produktionszentrum Tanz und Performance verfügt ebenfalls über eigene Probenräume, in denen die Freien Tanzschaffenden der Stadt ihre Arbeiten umsetzen können. Und: Durch das Förderprogramm „TANZPAKT“ Stuttgart konnte die Stadt einen zusätzlichen Probenraum anmieten, um dem hohen Bedarf zu begegnen.

So lobenswert die Bemühungen der Stadt sein mögen. All das hilft Liane Schieferstein in ihrer aktuellen Lage zunächst nicht weiter. Was sie jetzt am dringendesten braucht sind Unterstützer, die ihr helfen die (Vor-)Kasse des Vermieters zu füllen.