Im Herbst dürften vor den Metallbetrieben wieder die Flaggen wehen. Foto: dpa/Daniel Bockwoldt

Die IG Metall Baden-Württemberg bewegt sich an der Oberkante der Vorstandsvorgabe – acht Prozent höhere Gehälter will sie in der Tarifrunde durchsetzen. Die Arbeitgeber monieren eine „Realitätsverweigerung“.

Der baden-württembergische Bezirksleiter der IG Metall Roman Zitzelsberger kann sich die Reaktion der Arbeitgeber bereits vorstellen: „Der Gegenwind wird vermutlich orkanartig sein – alles andere würde mich verwundern.“ Doch sei die Gewerkschaft auch zu Windstärke zwölf fähig. „Insofern macht mir das wenig Sorgen, was es an Gegenwind gibt“, fügt er an. Er sei zuversichtlich, „dass wir mit einer breiten Unterstützung der Belegschaften in der Lage sind, unsere Forderung durchzusetzen.“

Gemeint sind die acht Prozent Lohnsteigerung, die in der Mitte September startenden Tarifrunde realisiert werden sollen, wie die Große Tarifkommission am Donnerstag in Sindelfingen beschlossen hat. Mit dieser höchsten Forderung seit 2008 – als ebenso acht Prozent aufgerufen wurden – bewegt sich die IG Metall an der Oberkante der vom Gewerkschaftsvorstand vorgegebenen Bandbreite von sieben bis acht Prozent.

Mercedes will elf Prozent – Porsche noch 10,5 Prozent

Zitzelsberger zufolge wurde in der Tarifkommission eine „signifikant größere Bandbreite“ vertreten. Gemeint sind zum Beispiel die Mercedes-Belegschaft, die lieber elf Prozent gefordert hätte, und die Porsche-Beschäftigten, deren Vertrauensleute sich Informationen unserer Zeitungen zufolge auf 10,5 Prozent verständigt hatten. Es gebe ein Allzeithoch in der Fülle der Auftragsbücher – und „in der überwiegenden Anzahl der Unternehmen werden hervorragende bis außergewöhnliche Gewinne gemacht“, erläutert Zitzelsberger. So sieht er „sehr viel Entschlossenheit“ – im Zweifel sei man in der Lage, die acht Prozent im Kampf durchzusetzen.

Der IG Metall sei die kritische Situation in einigen Betrieben durchaus bewusst, die durch höhere Material- und Energiekosten, Rohstoffmangel und Kriegsfolgen gekennzeichnet sei. Und sie sei „vernünftig genug, um besonders reagieren zu können“, meinte der Verhandlungsführer zum weiteren Verlauf der Tarifrunde. Bei einem Gaslieferstopp durch Russland zum Beispiel würde sich die Ausgangslage grundsätzlich verändern. „Doch haben wir keine IG-Metall-interne Revisionsklausel eingebaut – die Forderung und die Kündigung der Tarifverträge sind beschlossen. Punkt. Das gilt.“

„Merkwürdiges Verhalten“ des Südwestmetall-Chefs kritisiert

Auch mit der Argumentation der Gegenseite setzt sich der Bezirksleiter intensiv auseinander. So hat der neue Südwestmetall-Chef Joachim Schulz jüngst vor den acht Prozent gewarnt – er würde sie als „kräftige Kampfansage und einen Fehdehandschuh mehr“ auffassen. Und er setzte hinzu: Wenn er als mittelständischer Unternehmer davon betroffen wäre, würde er sich „sehr ernsthaft Gedanken machen, mich aus dem Arbeitgeberverband zu verabschieden“. Zitzelsberger kontert nun, diese Bemerkung sei „nicht nur kein guter Stil, sondern ein äußerst merkwürdiges Verhalten“ des Pendants.

Ferner geht der Bezirksleiter auf den Einwand von Schulz ein, dass die Beschäftigten seit 2018 sehr wohl Einkommenszuwächse hätten – dank dauerhafter Entgeltelemente früherer Tarifabschlüsse wie dem tariflichen Zusatzgeld oder dem Transformationsbaustein. Ein Beschäftigter im mittleren Einkommensbereich erhält 2023 infolge der zusätzlichen Zahlungen gut zwei Drittel eines Monatsgehalts. Zitzelsberger entgegnet: „Mit Sonderzahlungen erledigen die Menschen üblicherweise Sonderdinge, während sie mit dem Monatsentgelt ihre Lebenshaltung bestreiten.“ Die nachhaltige Entwicklung der Einkommen, die stets auch die Basis für alle sonstigen Entgeltbestandteile sei, sei hingegen seit gut vier Jahren unverändert.

Stimmungsdämpfer für die Konzertierte Aktion?

Die acht Prozent der IG Metall dürften auch das Treffen der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) initiierten Konzertierten Aktion am Montag zumindest stimmungsmäßig beeinträchtigen. Die aus dem Kanzleramt herausgedrungene Idee, die Tarifpartner sollten vornehmlich Einmalzahlungen vereinbaren, um keine Lohn-Preis-Spirale zu forcieren, tut Zitzelsberger als „schönen Vorschlag und netten Versuch“ ab. In der Metall- und Elektroindustrie sei das Thema der Einmalzahlungen in den vergangenen vier Jahren „ausgereizt“ worden. „Das mag in anderen Branchen anders sein, für uns ist es irrelevant, wenn die Bundesregierung einen solchen Vorstoß macht.“ Tarifverhandlungen fänden nun mal „definitiv nicht im Kanzleramt statt“.

Aus IG-Metall-Sicht wäre eine nachhaltige Entgeltsteigerung stattdessen ein „Beitrag zur Stabilisierung der Kaufkraft“ und ein Weg, den Ausfall von Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig steigender Inflation zu verhindern. Insofern sei die Acht-Prozent-Forderung „verantwortungsvoll und notwendig, um nicht in die von Wirtschaftsforschern befürchtete Stagflationsfalle hineinzufallen“, so der Bezirkschef. Dies werde Gewerkschaftschef Jörg Hofmann beim Treffen der Konzertierten Aktion im Kanzleramt auch deutlich machen.

„Schritt für Schritt von einem realistischen Pfad entfernt“

Die Arbeitgeber reagieren empört: Die Forderung sei „hartnäckige Realitätsverweigerung“ kritisiert Südwestmetall-Chef Schulz sogleich und weist die Gegenseite darauf hin, dass sie noch zu Jahresbeginn bei einer deutlich niedrigeren Inflationsprognose lediglich von Reallohnsicherung gesprochen hätte. Nun fordere sie viel mehr als das Doppelte dessen, was dafür erforderlich gewesen wäre – obwohl in der Zwischenzeit der Krieg, weiter explodierende Preise für die Firmen und die Ungewissheit in der Energieversorgung hinzugekommen seien. „Die IG Metall hat sich Schritt für Schritt von einem realistischen Pfad entfernt“, rügt Schulz. „Sie beschwört einen Tarifkonflikt herauf, den wir in der Situation überhaupt nicht brauchen könnten.“ Der von Zitzelsberger erwartete orkanartige Gegenwind ist das bisher nicht, könnte aber noch folgen.

Verhandlungen starten Mitte September

Fahrplan
 Gut abgestimmt haben am Donnerstag alle Großen Tarifkommissionen der IG Metall bundesweit die Acht-Prozent-Marke zum Ziel erhoben. Am 11. Juli wird der Vorstand diese Beschlüsse formal genehmigen. Dann erfolgt Ende August die Kündigung der entsprechenden Tarifverträge.

Überprüfung
Am 6. September will die Tarifkommission in Baden-Württemberg (virtuell) darüber beraten, „ob es da an einer Stelle eine andere Taktung braucht“, wie der Bezirksleiter Zitzelsberger sagt. Die Verhandlungen starten am 14. September. Die Friedenspflicht läuft Ende Oktober aus. „Wenn da keine Lösung gefunden ist, werden wir in der Lage sein, zu mobilisieren.“

Pilotbezirk
 Wie üblich laufen die Verhandlungen in den Bezirken zunächst parallel, bis sich auf der Gewerkschaftsseite der sogenannte Pilotbezirk herauskristallisiert. Zitzelsberger hatte noch vor dem Kriegsausbruch deutlich gemacht, dass er gerne den Pilotabschluss machen würde – nun äußert er sich deutlich vorsichtiger.