Zauber der Stimmen: die Hymnus-Chorknaben in St. Dionys. Foto: Rainer Kellmayer - Rainer Kellmayer

Der Konzertchor der Stuttgarter Hymnus-Chorknaben begeisterte das Publikum in der Kirche St. Dionys mit einer mustergültigen Aufführung von Heinrich Schütz’ „Musikalischen Exequien“.

EsslingenMit den 1636 entstandenen „Musikalischen Exequien“ schuf Heinrich Schütz eine der kunstvollsten und zugleich innigsten Trauerkompositionen der Musikgeschichte. In diesem dreiteiligen, zum Begräbnis seines Landesherrn Heinrich Posthumus Reuß geschriebenen Werk verarbeitete er biblische Trauersprüche, die schon zu Lebzeiten auf den Sarg des Verstorbenen aufgebracht worden waren. Eine mustergültige Aufführung dieses Gipfelwerks deutscher Musik bescherte der Konzertchor der Stuttgarter Hymnus-Chorknaben in der jüngsten Stunde der Kirchenmusik in St. Dionys.

Bereits im Jahr 2012 hatte der weit über die Region hinaus bekannte Knabenchor Schütz‘ Deutsche Totenmesse auf CD eingespielt. Gegenüber dem Tonträger schien die Aufführung in St. Dionys jedoch noch unmittelbarer, konsequenter und durchdachter – konturenreich und in allen Farbfacetten ausgeleuchtet. Dabei zahlte sich die hervorragende Chorschulung aus, die neben den Gesamtproben auch den Gesang der einzelnen Knaben und jungen Männer durch gezielte Stimmbildung fördert. Deshalb war es für Chorleiter Rainer Johannes Homburg kein Risiko, die zahlreichen Solopassagen durch Chormitglieder zu besetzen, die ihre Aufgaben allesamt bestens bewältigten, wobei sich die Tenöre und Bässe gegenüber den hohen Knabenstimmen etwas klarer durchsetzen konnten.

Größter Pluspunkt war jedoch die Geschlossenheit und Flexibilität des Chorklangs. Das Ensemble vertraute sich der von Heinrich Schütz konzipierten Wortausdeutung an, überzeugte durch klare Deklamation und folgte dem Credo des Komponisten, dass die Musik in ihrer Linearität nicht traurig stimmen, sondern trösten soll. Ein geglückter Schachzug war im dritten Teil der Exequien die Positionierung des Solistenensembles auf dem Lettner über dem Altar: Mit dem darunter platzierten Chor ergab sich eine faszinierende Raumklang-Wirkung, die das musikalische Geschehen noch plastischer nachzeichnete. Zur vielschichtigen Deutung der Totenmesse leistete die Continuo-Gruppe mit Gesine Petersmann (Violoncello), Rahel Klein (Kontrabass) und Hannes von Bargen (Truhenorgel) einen wesentlichen Beitrag – klangschön, präzise und durch dezentes Spiel dem Chor jederzeit den nötigen Freiraum lassend.

Eingangs hatte man A-cappella-Kunst auf höchstem Niveau gehört. Für jeden Chor ist das Singen ohne stützende Instrumentalbegleitung die Nagelprobe. Die Hymnus-Chorknaben meisterten diese Herausforderung mit Bravour, schafften den Spagat zwischen Felix Mendelssohn Bartholdys „Jauchzet dem Herrn“, der von Gregorianik, Spätromantik und Impressionismus beeinflussten Vertonung des „Ubi caritas et amor“ von Maurice Duruflé und Johannes Brahms‘ „Fest- und Gedenksprüchen“ mühelos. Von Rainer Johannes Homburg mit weit ausschwingender, jedoch präziser Gestik geführt, setzte der Chor die stilistisch sehr unterschiedlichen Werke mit kristalliner Klarheit und klanglicher Tiefenschärfe gegeneinander ab: Homogen in den einzelnen Chorgruppen, logisch in der dynamischen Deutung und mit betörend schönem Klang, der sich stets auf der Idealspur der Intonation bewegte. Die Hörer erlebten in der voll besetzten Stadtkirche eine Sternstunde der geistlichen Chormusik.