Kinder unterschiedlichen Alters kümmern sich mit Hingabe um die sechs Hühner im Garten. Die Großstadtkinder erleben auf diese Weise ein bisschen Landleben. Foto: privat

In der Heslacher Ziegelklinge halten sich ein paar Parteien Hühner im Garten. Die Kinder in der Siedlung sind begeistert – aber nicht alle Nachbarn.

Stuttgart. - Sweety und Rosalie kamen als Waisen zur Welt. Aber draußen erwarteten sie schon sehnsüchtig drei Aliens, die nichts mehr wünschten, als sich liebevoll um sie zu kümmern: das Paar Hehl-Oelschläger mit Tochter Le Ann. Fast drei Wochen lang hatten die Hühnereier im Inkubator gelegen, um es gleichmäßig schön warm zu haben. Am 19. Tag hörte man ein erstes zartes Piepen, am 20. Tag klopften die Küken ihre Schalen auf. „Küken warten immer aufeinander, damit sie gleichzeitig schlüpfen können“, erklärt Petra Hehl.

Zutrauliche Küken

Le Ann war Monate zuvor mit der Idee zuhause aufgeschlagen, daheim Eier auszubrüten und dann Hühner zu halten. Erst wurde sorgfältig abgewägt, dann folgten akribische Recherchen, die Anschaffung nötiger Utensilien und ein Fehlversuch mit Supermarkteiern. Beim zweiten Mal hat es dann geklappt: Aus zwei von sechs Eiern, die von einem Bauernhof stammten, schlüpften Sweety und Rosalie.

In Ermangelung gefiederter Erziehungsberechtigter, hefteten sich die Küken umgehend an die Fersen der Zweibeiner. „Die waren wie Hundle, liefen einem hinterher, wollten Zuwendung, setzten sich auf den Schoß und ließen sich streicheln“, sagt Petra Hehl. Die Familie durchlebte die ganze Conrad-Lorenz-Nummer in echt.

Nachbarschaftlicher Hühner-Fanclub

Nach vier Wochen zogen die Hühner vom Wohnzimmer in den Windfang, manchmal durften sie mit den Kindern aus der Ziegelklinge auf die Wiese. Die Wohnsiedlung am Waldrand von Heslach mit ihren 26 Reihenhäusern im Stile der neuen Sachlichkeit beheimatet zahlreiche Familien mit zusammen rund 30 Kindern. Vermieterin ist die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft mbH (SWSG).

Bald hatte sich ein nachbarschaftlicher Fanclub gebildet, der sich künftig gemeinsam ums Federvieh kümmern wollte. Man hakte bei der SWSG nach, ob man einen Hühnerstall bauen dürfe. Dort wurde das Projekt begrüßt- unter einer Bedingung: bloß Hühner, keine krähenden Hähne! Drei Nachbarsfamilien begannen einen Hühnerstall zu planen.

Dieser war im Sommer zwar längst noch nicht fertig, aber das Homeoffice ließ sich in den Garten verlegen und nebenbei hatte man das Geflügel im Gehege im Blick. „Das war ein richtiges Landgefühl – mitten in der Stadt. Wir haben das alle sehr gemocht“, erzählt ein Nachbar.

Ein leises Krächzen

Abends wanderten Sweety und Rosalie wieder in den Windfang. Eines morgens war von dort ein schwaches Krächzen zu vernehmen. „Mein Mann und ich haben uns nur angeguckt“, erinnert sich Hehl an den Moment der Erkenntnis. „Dabei hatte uns ein Fachmann versichert, es seien Hühner!“ Sweety und Rosalie, so viel war klar, konnten nicht in der Ziegelklinge wohnen bleiben.

Es begann eine langwierige zähe Suche nach einem guten neuen Zuhause für die beiden Gockel, das schließlich auch gefunden wurde. Da sich aber nun alle schon auf die Hühner gefreut hatten, wurden beim Züchter sechs neue, eindeutig weibliche Tiere besorgt: vier Niederrheiner Zwerghühner und zwei Sulmtaler Hennen.

Nachbarn beschweren sich

Inzwischen ist in Gemeinschaftsarbeit ein schmucker Stall entstanden in der Art eines schwedischen Sommerhauses auf Stelzen in Rot und Weiß. Umgeben ist es von einem hochumzäunten Gehege. Wenn man hineingeht, kommen die Hühner gleich angelaufen. „Die Kinder lieben es!“, sagt Hehl. „Sie gehen bei Wind und Wetter raus, um bei den Tieren zu sein. Sie kümmern sich um die Tiere und übernehmen Verantwortung.“

Doch nicht allen in der Siedlung sind die Hühner Quell der Freude. Zwei Parteien passt der Hühnerstall im Garten nicht. Anfangs kamen zaghaft kritische Nachfragen, aber die rissen nicht ab, wiederholten sich, so oft die Hühnerfreunde sie auch beantworteten. „Wir hatten das Gefühl, wir drehen uns im Kreis.“

Die Sorgen dieser Nachbarn waren, dass der Hühnerkot überall herumliege und Bakterien streue, dass die Tiere Gestank verbreiten und Lärm verursachen. Die drei Familien der Hühnergruppe haben in der Siedlung 40 Unterschriften gesammelt, um zu zeigen, dass das Projekt breiten Rückhalt genießt. Die SWSG bemühte sich um Vermittlung und schlug einen Tag des offenen Hühnerstalls vor, um die Zweifel der Nachbarn auszuräumen. Doch diese sagten ab.

Nachbarschaftsstreit vermeiden

Das Recht steht allerdings auf der Seite der Hühner-Freunde. Es spricht nichts dagegen, in der Stadt Hühner zu halten, wenn man ein paar Regeln beachtet: „Man muss die Tiere beim Veterinäramt anmelden und Beiträge für die Seuchenkasse bezahlen“, erklärt der Amtstierarzt der Stadt, Thomas Stegmanns. Die Seuchenkasse bezahlt im Schadensfall. „Das ist wie die Kasko beim Auto.“ Ferner besteht eine Impfpflicht.

Wichtig ist zudem, dass die Tiere nicht ausbrechen können und dass ein Stall bereit steht, falls eine Seuche ausbricht. Gibt es Ärger mit Nachbarn, dann ist dies ein Fall für das Zivilgericht, wo Nachbarschaftsstreitigkeiten verhandelt werden. Die Hühnerfreunde aus der Ziegelklinge hoffen, dass sie eine bessere Lösung finden.