In der Bund-Länder-Runde sind Grenzwerte für einen bislang nutzlosen Indikator beschlossen worden: die Hospitalisierungsinzidenz. Foto: dpa/Steffen Kugler

Das neue Corona-Regelwerk basiert auf der Hospitalisierungsinzidenz. Doch der Indikator liefert keine verlässliche Grundlagen, wie ein Analyse der Daten zeigt. Im Südwesten spielt er ohnehin keine Rolle.

Berlin - Aus der Hospitalisierungsinzidenz sollen sich künftig die Coronaregeln in Deutschland ergeben. Dabei ist schon seit August bekannt, dass diese Kennziffer mit gewaltigen Problemen behaftet ist. Sie soll die Zahl der neu ins Krankenhaus aufgenommenen Covid-Patienten je 100 000 Einwohner abbilden – tut das aber nur lückenhaft.

Im Spätsommer hatten „Zeit“, „Spiegel“ sowie unsere Zeitung eine SWR-Recherche bestätigt, laut der die täglich ausgewiesene Hospitalisierungsrate systematisch zu niedrig angegeben wird. Tatsächlich werden fast doppelt so viele Covid-Patienten in den Kliniken aufgenommen. Das fällt allerdings erst Wochen später auf, wenn alle Nachmeldungen eingelangt sind. Zudem ist die Erkenntnis in für Laien nicht nutzbaren Zahlenbergen vergraben.

Enorme Abweichung

Das hat sich bis heute nicht fundamental geändert, wie eine aktuelle Stichprobe unserer Zeitung ergibt. Baden-Württemberg hatte beispielsweise am 19. Oktober eine Hospitalisierungsinzidenz von 3,04 gemeldet. Inklusive Nachmeldungen wird rückblickend der Wert 4,89 angegeben. Im RKI-Lagebericht vom 19. Oktober wurde eine bundesweite Hospitalisierungsrate von 2,13 genannt – tatsächlich lag sie bei 3,87.

Selbst wenn man diese Schwäche mitgedacht und die Schwellenwerte entsprechend niedrig angesetzt wurden, sind die Werte problematisch, denn die Abweichung ist je nach Bundesland sehr unterschiedlich. In Hamburg wird tagesaktuell nur etwa ein Drittel der hospitalisierten Covid-Patienten gemeldet, in Bremen dagegen fast 80 Prozent. Je nach Meldegeschwindigkeit können demnach schärfere Coronaregeln im einen Land früher greifen als im anderen, obwohl dort gemessen an der Bevölkerung gleich viele Covid-Patienten ins Krankenhaus kommen.

Höchster Schwellenwert eigentlich schon überschritten

Selbst das Bundesgesundheitsministerium gibt zu, dass die tagesaktuell gemeldeten Hospitalisierungen „zunächst nur einen Näherungswert darstellen“. Wegen der oftmals sehr späten Nachmeldung zieht aber das Argument des Ministeriums nur bedingt, dass der über sieben Tage gemittelte Wert näher an der Realität sei. Für die Coronaregeln ist fortan dennoch ein Näherungswert relevant.

Dabei lässt sich die tatsächliche Hospitalisierungsrate sogar recht gut abschätzen; so wie einige andere Forschungseinrichtungen veröffentlicht das Robert-Koch-Institut in seinen Wochenberichten solche Berechnungen. Demnach liegt der Wert bundesweit aktuell bei etwa 10. Aktuell ausgewiesen ist dagegen der Wert 5,34. Gemessen an dem jetzt beschlossenen Regelwerk wäre der höchste Schwellenwert also bereits überschritten und jene Stufe erreicht, für die Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag forderte, es müsse „das gesamte Instrumentarium der Möglichkeiten eingesetzt werden.“

Baden-Württemberg verwirft Kennziffer gleich wieder

Auch Patienten- und Krankenhausvertreter sehen die Hospitalisierungsinzidenz kritisch. Die Zahl spiegle nicht „die tatsächliche Lage in den Krankenhäusern wider“, heißt es von der Stiftung Patientenschutz. „Wir haben bis heute kein digitales Meldeverfahren. Das ist ein Versäumnis“, kritisierte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß. Das erkläre die Verzögerung bei den Daten.

Für Baden-Württemberg haben die am Donnerstag beschlossenen Schwellenwerte bei der Hospitalisierung ohnehin keine Relevanz. „Im Stufensystem in Baden-Württemberg setzt man die Intensivbettenauslastung als gleichbedeutend“, sagt Caroline Blarr, Sprecherin im Staatsministerium, „daran werden wir festhalten“. Am Dienstag wurde der Alarmwert von 390 Covid-19-Patienten erstmals auf den Intensivstationen erreicht, seit Mittwoch gelten entsprechend strengere Regeln. Die bundesweit einheitliche Regelung sei zwar gut, „aber für uns nicht wirklich ein relevanter Faktor“, so Blarr.