Erst schränkt das Staatssicherheitsgesetz die Freiheiten in Hongkong ein, jetzt wird die Parlamentswahl verschoben. Offiziell wird es mit der Pandemie begründet. Die Opposition sieht aber andere Motive.
Hongkong - In einem umstrittenen Schritt hat die Hongkonger Regierung die für September geplante Parlamentswahl verschoben. Regierungschefin Carrie Lam begründete die Verlegung der Abstimmung am Freitag damit, dass die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in der chinesischen Sonderverwaltungsregion wieder gestiegen sei. Einen neuen Termin für die Wahl nannte sie nicht. Für die Verlegung bemühte die Regierungschefin ein fast 100 Jahre altes, nur ganz selten angewandtes Notstandsrecht aus der britischen Kolonialzeit.
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Kritiker sahen den Versuch, eine Blamage zu verhindern, da der Unmut über das Regierungslager und das neue Staatssicherheitsgesetz groß ist. Aus Sicht des oppositionellen Abgeordneten Ted Hui ist die Regierung mehr besorgt über eine Niederlage als über die Ausbreitung der Lungenkrankheit. Aktivisten wie Joshua Wong hoben hervor, dass die Abstimmung trotz Corona mit angemessenen Vorsichtsmaßnahmen stattfinden könne, was andere Länder mit ihren Wahlen gezeigt hätten.
Aufschub der Wahl wirft rechtliche Fragen auf
Nachdem die sieben Millionen Einwohner zählende Hafenmetropole den Ausbruch der Lungenkrankheit Covid-19 anfangs gut unter Kontrolle hatte, ist die Anzahl der neuen Infektionen im Juli stark gestiegen - zuletzt auf 100 bis 150 pro Tag. Auch können Infektionsketten in der dicht besiedelten Stadt nicht mehr zurückverfolgt werden. So hatte die Regierung auch Versammlungen auf nur zwei Personen beschränkt. Insgesamt sind mehr als 3100 Ansteckungen und 27 Tote gezählt.
Der lange Aufschub der Wahl wirft rechtliche Fragen auf, weil eigentlich nur eine kurzfristige Verlegung erlaubt ist. Hongkongs Regierung könnte dafür aber den Ständigen Ausschuss des Volkskongresses in Peking anrufen. Chinas höchstes Parlamentsorgan macht sich schon bereit: Es will zu einer - in der Sommerpause ungewöhnlichen - Sitzung vom 8. bis 11. August zusammenkommen.
Prodemokratische Abgeordnete warnten vor einer Verfassungskrise. Nach einem Jahr der Proteste sei es wichtig, das Parlament neu zu besetzen, argumentierten 22 Volksvertreter in einer Erklärung. Die Corona-Krise werde nur als Vorwand benutzt. Die Regierung dürfe den Hongkongern nicht das Recht auf die Wahl wegnehmen.
Wahl ist ohnehin umstritten
Auch die US-Regierung hatte gefordert, dass die Wahl wie geplant am 6. September stattfinden müsse. „Das Hongkonger Volk hat es verdient, dass seine Stimme durch gewählte Vertreter seiner Wahl repräsentiert wird“, sagte Außenminister Mike Pompeo. „Wenn sie das kaputt machen, wenn sie das absagen, wird es ein weiteres Merkzeichen sein, das einfach beweist, dass Chinas Kommunistische Partei Hongkong jetzt nur zu einer weiteren kommunistisch geführten Stadt gemacht hat.“
Die Wahl ist ohnehin umstritten. Das Wahlamt hatte am Vortag ein Dutzend Aktivisten wie Wong oder auch Mitglieder der oppositionellen Civic Partei von einer Kandidatur ausgeschlossen. Niemand eigne sich zum Abgeordneten, der nicht hinter dem Staatssicherheitsgesetz stehe und die Selbstbestimmung oder Unabhängigkeit Hongkongs befürworte, argumentierte die Regierung. Das gelte auch für jene, die eine Einmischung ausländischer Regierungen suchten oder drohten, mit ihrer Stimme Druck auf die Regierung ausüben zu wollen, hieß es.
Erstmals vier Festnahmen wegen angeblichem Separatismus
Ziel des demokratischen Lagers war es, bei der Wahl eine Mehrheit von 35 Sitzen oder mehr zu erreichen. Das Votum für den Legislativrat ist aber ohnehin keine völlig freie Wahl. Seine 70 Mitglieder werden nur nach einem teildemokratischen Verfahren gewählt und bestimmt: 35 aus Wahlkreisen und 30 aus Berufsverbänden sowie 5 aus Bezirksräten. Diese Aufteilung diente zumindest bisher immer dazu, dass das regierungsnahe und pekingtreue Lager die Mehrheit erreicht.
Seit der Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie 1997 an China wurde Hongkong autonom mit eigenen Freiheitsrechten regiert. Der Erlass des Gesetzes zum Schutz der nationalen Sicherheit Ende Juni durch Peking sowie die Disqualifizierung der Kandidaten stellt aus Sicht von Kritikern den seither verfolgten Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ komplett in Frage.
Das umstrittene Gesetz ist der bisher weitestgehende Eingriff in die Autonomie. Es gibt Chinas Staatssicherheit weitreichende Vollmachten in Hongkong und richtet sich vage gegen Aktivitäten, die Peking als subversiv, separatistisch, terroristisch oder verschwörerisch ansieht. So gab es diese Woche erstmals vier Festnahmen wegen angeblichem Separatismus.