Laut Statistik glänzt der Landkreis Böblingen mit einer hoher Kaufkraft und liegt damit an der Spitze der Region Stuttgart, deutschlandweit auf Platz 19. Doch trotzdem kämpfen viele stationäre Einzelhändler um ihre Existenz – vor allem auf dem Land.
Eine aktuelle Untersuchung der IHK-Bezirkskammer Böblingen beleuchtet die komplexe wirtschaftliche Lage im Kreis Böblingen. Dabei zeigt sich: Obwohl die Einwohner über ein überdurchschnittlich hohes Einkommen und damit eine hohe Kaufkraft verfügen, kämpft der Einzelhandel mit existenziellen Problemen.
Der Blick auf die Zahlen: Die Einwohner des Landkreises Böblingen verfügen im Jahr 2024 über eine einzelhandelsrelevante Kaufkraft von etwa 3,3 Milliarden Euro – das entspricht 8 289 Euro pro Kopf. Doch die Realität für viele Händler sieht düster aus.
Marion Oker, Leitende Geschäftsführerin der IHK-Bezirkskammer Böblingen, sagt: „Positive Statistiken und Zahlen sind das eine, die Situation für viele Händler aber etwas anderes.“ Ein spürbarer Rückgang der Kaufbereitschaft in Kombination mit der wachsenden Konkurrenz aus dem Online-Handel setzt viele stationäre Einzelhandelsbetriebe unter erheblichen Druck, so die IHK-Chefin. „Die finanziellen Polster sind bei vielen Betrieben aufgebraucht, jede Belastung stellt eine echte Gefährdung der Existenz für die Unternehmen dar“, warnt Oker.
Die Konsequenzen sind fatal: Immer mehr Geschäfte müssen schließen, was zu erhöhten Leerständen in den Innenstädten führt. „Es droht eine weitere Eskalation für die nähere und mittlere Zukunft, wenn sich die Lage nicht entscheidend bessert“, so Oker weiter.
Der Landkreis Böblingen ragt dennoch in vielerlei Hinsicht heraus. Mit einem Pro-Kopf-Wert von 8 289 Euro liegt er in der Region Stuttgart an erster Stelle, sogar noch vor der Landeshauptstadt Stuttgart und gefolgt von den Landkreisen Ludwigsburg und Esslingen. „Die Einwohner im Landkreis Böblingen verdienen im Schnitt sehr gut, weshalb sie theoretisch auch mehr Geld im Einzelhandel ausgeben können als in den meisten Kreisen Deutschlands“, erläutert Oker. Auch deutschlandweit rangiert der Kreis Böblingen bei der Kaufkraft auf den vorderen Plätzen. „Von den über 400 Stadt- und Landkreisen der Republik liegt unser Landkreis bei der Pro-Kopf-Kaufkraft immerhin auf Rang 19“, sagt Oker. Zu verdanken hat der Kreis dies der hier angesiedelten Industrie und den hoch dotierten Arbeitsstellen in den Entwicklungsabteilungen.
Ehninger im Schnitt am wohlhabendsten
In allen 26 Gemeinden des Landkreises liegt die einzelhandelsrelevante Kaufkraft pro Einwohner über dem Bundesdurchschnitt von 7 547 Euro. Dabei verfügen die Ehninger laut Statistik mit durchschnittlich 8 921 Euro kreisweit über die dicksten Geldbeutel, was wohl auf die dortige Ansiedlung der Deutschlandzentrale der IBM zurückzuführen ist. Offenbar verdienen die Arbeitnehmer dort überdurchschnittlich gut, gemessen an der Einwohnerzahl ergibt sich die Spitzenposition. Doch selbst Mötzingen als Schlusslicht im Kreis Böblingen liegt mit 7625 Euro über dem Durchschnitt im Bund. Auf der Ausgabenseite ist die Statistik weniger eindeutig, wie die Situation der Einzelhändler eindrücklich zeigt.
Die stationären Einzelhändler erzielten insgesamt über 2,7 Milliarden Euro an Umsatz, was pro Einwohner 6787 Euro entspricht und damit etwas mehr als drei Prozent über dem deutschen Durchschnitt liegt. Diese hohen Umsätze sind jedoch nicht ausschließlich in den Stadtzentren zu verzeichnen. Sindelfingen führt mit einem Gesamtumsatz von 754 Millionen Euro und einem Pro-Kopf-Wert von 11 527 Euro die Rangliste an. Böblingens Einzelhandel generiert mit 9 384 Euro pro Einwohner den zweitgrößten Umsatz, was vor allem auf großflächige Einzelhandelsbetriebe in Gewerbegebieten zurückzuführen sei, so die IHK.
Die Zentralitätskennziffer, die das Verhältnis von Umsatz zur Kaufkraft der ansässigen Bevölkerung darstellt, vermeldet ähnliche Trends. Sindelfingen bleibt mit einer Kennziffer von 169,7 führend, gefolgt von Böblingen mit 128,8 und Jettingen mit 107,6. Auf kommunaler Ebene jedoch kämpfen viele Gemeinden mit Abwanderungen. „Weissach, Aidlingen und Magstadt zeigen, dass nur rund ein Drittel der Kaufkraft ihrer Einwohner im Ort ausgegeben wird, der größere Teil fließt ab“, sagt Oker.
Gestaltungsregeln wichtig für Innenstädte
Zum Schutz und Erhalt lebenswerter Innenstädte betont Oker die Wichtigkeit von Regelwerken: „Wenn wir unsere Innenstädte weiterhin als lebenswerte, abwechslungsreiche Handels- und Aufenthaltsorte wahrnehmen möchten, dann müssen die Regeln eingehalten werden, die in Regionalplan und Einzelhandelskonzepten für die Ansiedlung vor allem großflächiger Einzelhandelsbetriebe gelten.“ Eine weitere Verschiebung dürfte allerdings die großflächige Erweiterung des Breuningerlands Sindelfingen mit sich bringen: Der Kauftempel soll um weitere 10 000 Quadratmeter vergrößert werden.red
Alle Ergebnisse im Detail sind bei der IHK im Internet abrufbar unter ihk.de/stuttgart
Stichworte
Kaufkraft
im Einzelhandel bezeichnet die Summe des verfügbaren Nettoeinkommens pro Kopf, die pro Jahr laut Statistik im Einzelhandel ausgegeben werden kann. Der Kreis Böblingen liegt hier mit 8 289 bundesweit auf Platz 19, regionsweit auf Platz eins.
Zentralitätskennziffer
Sie ergibt sich, wenn man die Umsätze nicht nur ins Verhältnis zur Einwohnerzahl setzt, sondern dabei auch die Kaufkraft der ansässigen Bevölkerung berücksichtigt. So zeigt sich, wie viel Kaufkraft ein Ort von außerhalb anzieht.
Umsatz
im Einzelhandel beschreibt die Summe aller Einnahmen der stationären Einzelhändler im Kreis Böblingen: Er lag zuletzt bei rund 2,7 Milliarden Euro im Jahr. Pro Kopf bedeutet das einen Wert von 6 787 Euro und damit drei Prozent mehr als im Bundesschnitt.