Dieses Schlauchkissen soll die Straße zwischen Wendlingen und Köngen im Falle eines 100-jährigen Hochwassers sichern. Foto: /Kerstin Dannath

Eine maßangefertigte Schlauchsperre soll eine Überflutung des Wendlinger Industriegebiets und der Nachbarkommune Köngen verhindern.

Etwa zehn Millionen Euro kosten die Hochwasserschutzmaßnahmen am Neckar. Das berichtet Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel. Davon trägt 70 Prozent das Land, den Rest bezahlt die Stadt. Die neueste Errungenschaft ist eine Schlauchsperre, die im Falle eines 100-jährigen Hochwassers (HQ100) die Landesstraße 1200 abdichten soll. Dieser „Hydrobaffle“ schlägt mit rund 35 000 Euro zu Buche und ist ein kissenförmiges, mit Wasser befülltes mobiles Schlauchsystem. Das blaue, 14 Meter lange und bis zu zwei Meter hohe Ungetüm wurde von einer Spezialfirma passend für die Fahrbahnbreite der Römerbrücke maßgefertigt und soll im Fall des Falles verhindern, dass das Wasser das Wendlinger Industriegebiet und die Nachbarkommune Köngen flutet.

50 000 Liter Wasser fasst der Schlauch

„Hoffentlich brauchen wir die Schlauchsperre nie“, sagt Weigel, während er bei einer gemeinsamen Übung der Wendlinger und der Köngener Feuerwehr beobachtet, wie das Kissen mit Wasser befüllt wird. Auf Forderung des Landratsamts wurde der Ernstfall zum ersten Mal getestet. Dazu waren die beiden freiwilligen Feuerwehren mit insgesamt 29 Personen und fünf Fahrzeugen vor Ort. Rund 50 Minuten dauerte es, bis der Schlauch mit rund 50 000 Litern gefüllt war. „Es hat alles gut funktioniert“, sagt der Wendlinger Kommandant Michael Gau zufrieden. Der Test habe gezeigt, dass es besser sei, die Sperre ein kleines Stück weiter in Richtung Wendlingen aufzubauen. Damit sei eine bessere Dichtigkeit gewährleistet.

Auch der Köngener Feuerwehrkommandant Marc Englisch zieht ein positives Fazit. „Für das erste Mal hat alles so weit gepasst.“ Man könne allerdings beim nächsten Mal die Füllzeit etwas verringern, wenn dann von beiden Seiten, also nicht nur von der Wendlinger Seite aus, befüllt werde.

Das Wasser, mit dem die Sperre befüllt wurde, kam nicht wie vielleicht zu vermuten wäre, direkt aus dem Neckar, sondern aus einem Hydranten in der Schäferhauser Straße auf der Wendlinger Neckarseite. „Laut Hersteller ist Brackwasser keine Option“, erklärt Gau. Denn die Sedimentrückstände würden bei der Leerung im Schlauch verbleiben – und das tut dem Material nicht gut. „Das modert dann still vor sich hin, wenn die Schlauchsperre wieder bei uns im Magazin lagert“, bestätigt Gau. Zudem sei es gefährlich, bei Hochwasser aus dem reißenden Neckar Wasser zu entnehmen.

Pegelstand in Kirchentellinsfurt gibt den Ausschlag

Im Falle eines HQ100 seien Wendlingen und Köngen gut gerüstet, darin sind sich Gau, Englisch und Bürgermeister Weigel sicher. Die Wendlinger Feuerwehr ist für bauliche Maßnahmen zuständig, die für einen zusätzlichen Puffer von etwa 15 Zentimeter auf den zu erwartenden Pegelstand sorgen. Außerdem sieht der Hochwasseralarmplan der Stadt eine ebenfalls neu errichtete Dammbalkensperre am Kreisverkehr zum Industriegebiet Wert vor. Zudem müssen ein Fluttor in Unterensingen geschlossen sowie diverse Gullydeckel abgedichtet werden, damit das Wasser nicht irgendwo anders hoch sprudelt.

Den Aufbau der Dammbalkensperre hat die Wendlinger Wehr bereits einige Male geübt, da das nötige Material direkt am Einsatzort gelagert ist. „Im Falle eines HQ100 haben wir genügend Zeit für unsere Maßnahmen“, sagt Gau. Ansatzpunkt sind hier die Pegelstände neckaraufwärts in Richtung Tübingen. Letztlich ausschlaggebend ist der Pegelstand in Kirchentellinsfurt.

Im Falle eines extremen Ereignisses, einem sogenannten „HQextrem“ wie die Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021, sieht alles allerdings anders aus. „Da würde uns die Dammbalkensperre auch nicht retten“, sagt Weigel. Die nach extremen Starkregen etliche Meter hohe Sturzflut in dem teils sehr engen Flusstal in Nordrhein-Westfalen forderte rund 70 Todesopfer, die Schäden gingen in die Millionenhöhe. „Die Dammbalkensperre hilft uns, wenn nur das Wasser über die Ufer tritt“, ergänzt Köngens Feuerwehrkommandant Englisch. Im Ahrtal trug das Wasser ungeheure Massen an Schutt und Geröll mit sich: „Bei solchen Massen wie im Ahrtal würde das hier am Neckar auch nicht funktionieren.“

Fred Schuster, der Wendlinger Leiter der Abteilung Ordnung und Soziales, ist sich allerdings sicher, dass ein solches Ereignis am Neckar ziemlich unwahrscheinlich ist. „Wir haben ein viel breiteres Tal, in dem sich das Wasser besser verteilen kann.“ Entscheidend sei letztlich die Fließgeschwindigkeit – und die ist laut einer von der Stadt in Auftrag gegebenen Studie am Neckar wesentlich geringer als sie im Ahrtal zu erwarten sei. „Die größere Gefahr droht der Stadt eigentlich an der Lauter“, ergänzt Schuster. Das Flüsschen durchfließt vielfach versiegelte Flächen und würde bei einem Starkregenereignis sehr schnell über die Ufer treten. „Die Vorwarnzeit beträgt nur etwa 20 Minuten“, so Schuster – zu wenig Zeit für größere Schutzmaßnahmen. „Das Wichtigste an der Lauter ist, alle Einläufe, Schächte und Retensionsflächen intakt zu halten – damit das Wasser genügend Platz hat“, erläutert er.

Hochwasserschutzmaßnahmen in Wendlingen und Köngen

Baumaßnahmen
Die Stadt Wendlingen war auf drei Baubereichen links und rechts des Neckars aktiv: Entlang der K 1219 Richtung Unterensingen zwischen Römerbrücke und dem Kreisverkehr wird das Gewerbegebiet Wert von einem Damm geschützt, einer Mauer und mobilen Hochwasserschutzwänden aus Edelstahl, die am Kreisverkehr aufgebaut werden. Parallel wurde auf der rechten Seite des Neckars zwischen Ulrichsbrücke und Wendlinger Wehr der Hochwasserdamm erhöht. Die Arbeiten des letzten Teilabschnitts zwischen der Autobahnbrücke und der Römerbrücke werden noch im Dezember ausgeschrieben, Start der Maßnahmen soll im Frühjahr 2023 sein, der Abschluss 2024. Die Gesamtkosten belaufen sich nach aktuellem Stand auf 10 Millionen Euro, das Land übernimmt 70 Prozent des Betrages. Die Gemeinde Köngen hat auf der linken Neckarseite nach dem Durchlass der Köngener Mühle den Neckartalradweg erhöht. Die Kosten beliefen sich auf 131 000 Euro, die Gemeinde hatte mit 39 000 Euro 30 Prozent davon zu tragen.

Alarmplan
Der Einsatzplan der Stadt Wendlingen ist fast fertig. Er muss noch von Behörden wie Polizei, Straßenbauamt und Landratsamt abgesegnet werden. Erreicht der Pegel in Kirchentellinsfurt einen Stand von über fünf Meter, löst der Landkreis einen Hochwasseralarm aus. Die Behörde ist dann für das Krisenmanagement zuständig. Davor sind die Städte und Gemeinden verantwortlich. Laut Fred Schuster vom Wendlinger Ordnungsamt hat ein Pegelstand von über fünf Metern vermutlich ein HQ100 zur Folge.