Jasmin Golter lässt sich von Nicole Breuer untersuchen. Am 7. Januar kam Töchterchen Freya auf die Welt – daheim. Foto: Ralf Poller/avanti

Nicole Breuer ist freiberufliche Hebamme und begleitet als eine von zwei Hebammen im Landkreis Ludwigsburg Schwangere bei Hausgeburten. Die Freizeit der 38-jährigen Oberstenfelderin ist nicht planbar, die eigene Familie muss zurückstecken.

Nicole Breuer ist Hebamme aus und mit Leidenschaft. Ihr Beruf ist ihre Berufung. Eine Berufung, für die sie Freizeit und Familie hinten anstellt. Denn abgesehen von Urlauben oder kurzen Auszeiten ist sie für die werdenden Mamas, die sie betreut, rund um die Uhr erreichbar. An Werktagen, an Sonntagen, an Feiertagen.

Die Familie hat sich damit arrangiert. Geburtstage, Silvester, Weihnachten – die Breuers sind immer mit zwei Autos unterwegs. „Für meine drei Kinder und meinen Mann ist das ein großer Verzicht“, weiß die 38-Jährige. Doch die Familie weiß eben auch, dass die Mama glücklich ist. Auch wenn ihre Tage deshalb nicht planbar sind.

Nur zwei Hebammen im Kreis machen Hausgeburten

Seit 2006 ist Nicole Breuer in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. 2017 sattelte die Oberstenfelderin eine Ausbildung zur Hebamme drauf, seit 2020 arbeitet sie freiberuflich. 154 Geburten hat Breuer seitdem begleitet. Im April 2021 gründete die Mutter dreier Kinder mit drei Kolleginnen eine Partnerschaftsgesellschaft und eröffnete in Oberstenfeld das Hebammenhaus. Sie wolle, sagt Nicole Breuer, werdenden Mamas eine Eins-zu-Eins Betreuung gewährleisten und dem Neugeborenen eine friedliche Ankunft ermöglichen.

Stefanie Schröder weiß besagte Eins-zu-Eins Betreuung zu schätzen. Zwei Kinder hat die 35-Jährige mit „ihrer“ Nicole schon auf die Welt gebracht. Tochter Emma wurde am 3. März 2021 geboren, Schwester Xenia am 7. September 2022. So wie sie es sich gewünscht hat – in den eigenen vier Wänden. Der Frauenarzt sei gegen die Hausgeburten gewesen, erzählt die Beilsteinerin. Auch im sozialen Umfeld habe es kritische Stimmen gegeben. Doch Stefanie Schröder hat auf ihre innere Stimme gehört und ihrem Körper vertraut – und es nicht bereut.

Schröders Frauenarzt ist keine Ausnahme. Die Mehrzahl der Gynäkologen stehen Hausgeburten kritisch gegenüber. „Das Recht, physiologische Geburten zu leiten, ist in Deutschland Hebammen vorenthalten. Ärzte und Ärztinnen sind in der Geburtshilfe zu pathologischen Geburtsverläufen hinzuzuziehen“, macht Breuer den Versuch einer Erklärung für die ärztliche Skepsis. Aber wie immer gibt es Ausnahmen von der Regel, weiß die Hebamme. „Es gibt auch Kollegen, die Frauen darin unterstützen, und am Ende profitieren die Frauen und Kinder von einer guten Zusammenarbeit der Berufsgruppen.“

Jasmin Golter hat ihr erstes Kind in einer Klinik zur Welt gebracht – und möchte bei Kind Numero zwei ganz bewusst daheim entbinden. „Mir ist wichtig, dass mir dieses Mal kein Stress gemacht wird“, erzählt die Ilsfelderin. Henry hatte es im Juni 2021 eilig, den Hebammen im Kreißsaal aber nicht eilig genug. „Als ich aus der Badewanne stieg, bekam ich mit, dass die Hebammen mir die Fruchtblase aufmachen wollten, um die Geburt zu beschleunigen. Das hat mich geärgert und belastet – Gott sei dank ging sie dann aber noch von allein auf“, erinnert sich die 30-Jährige. Diese Erfahrung hat bei Jasmin Golter kein Trauma ausgelöst, doch sie betreue viele traumatisierte Zweitgebärende, berichtet Nicole Breuer. Sie wisse, dass es immer noch Menschen gebe, die meinen, nur Frauen in wallenden Gewändern und in Birkenstocks würden daheim entbinden, doch das stimme nicht und sei ein Vorurteil.

Zahl der Hausgeburten steigt

Jasmin Golter hat der Familie erst ein paar Wochen vor dem Geburtstermin gesagt, dass sie dieses Mal daheim entbinden möchte. Die Reaktion war gut. „Es verändert sich etwas in der Gesellschaft“, so ihre Beobachtung, die sich mit den Zahlen der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) deckt. Der Verein dokumentiert seit 1999 die Qualität der betreuten Geburten im ambulanten Versorgungsbereich. Die Statistiken zeigen, dass die Zahl der außerklinischen Geburten stetig steigt.

„Mehr als der Technik und ärztlichen Unterstützung vertrauen die Frauen ihrer Kompetenz, Intuition und Kraft sowie dem fachkundigen Beistand einer Hebamme, um ihr Kind im eigenen Rhythmus, möglichst ungestört zu gebären“, sagt Constanze Müller-Pantle, die als QUAG-Koordinatorin für Baden-Württemberg in Fellbach sitzt.

Dafür braucht es ein Vertrauensverhältnis zwischen der werdenden Mutter und der Hebamme. Und das wächst über die engmaschige Begleitung in der Schwangerschaft ebenso wie über eine ausführliche und damit zeitintensive Anamnese beim Erstgespräch. „Eine Geburt ist ein Ausnahmezustand. Da kommen oft Dinge, die die Frauen erlebt haben, wieder hoch. Um sich fallen lassen zu können, brauchen sie Sicherheit und die kann ich ihnen besser geben, wenn ich ihre Biografie kenne und beispielsweise weiß, was Stress auslöst.“

Apropos Stress. In ihrer bisher intensivsten Woche als Hebamme habe sie acht Babys auf die Welt gebracht und 104 Stunden gearbeitet, erzählt die 38-Jährige. Dennoch ist Nicole Breuer keine, die über Stress jammert und andauernd über die Bedingungen klagt. „Wenn ich merke, ich kann nicht mehr, dann schicke ich jemanden aus dem Team. Ich erkenne meine Grenzen.“

Nicht jeder darf daheim gebären

Risikogeburten
Nicht jede Geburt darf eine Hebamme betreuen. Bei Risiko-Schwangerschaften muss sie ablehnen. Etwa bei Zwillingsgeburten, wenn die werdende Mutter Schwangerschaftsdiabetes hat oder älter als 35 Jahre ist, nach Gebärmutter-Operationen, wenn Gerinnungsstörungen vorliegen et cetera. 52 Geburten hat die 38-Jährige 2021 als Ersthebamme begleitet, bei 24 Geburten wurde sie als Zweithebamme gerufen. 33 Prozent ihrer Schwangeren waren Erstgebärende, neun Prozent musste sie am Ende doch noch in eine Klinik bringen. „Aber nie in Eile, immer in Ruhe“, betont sie

Zahlen
Jede Frau hat das Recht, ambulant zu entbinden und den Geburtsort frei zu wählen – so steht es im Sozialgesetzbuch V, Paragraf 24f. Und zwar ab der 37 Schwangerschaftswoche und bis zu zwei Wochen nach dem Geburtstermin. In Deutschland kamen im Jahr 2021 insgesamt 798 912 Kinder zur Welt. 15 125 von ihnen waren außerklinische Geburten. Die Kinder wurden im häuslichen Umfeld oder in von Hebammen geleiteten Einrichtungen geboren. Ein Blick auf die Deutschlandkarte zeigt: Das Land Baden-Württemberg liegt mit 2148 Geburten (1,89 Prozent) auf Platz fünf. Platz 1 belegt Sachsen mit 3,46 Prozent, gefolgt von Bremen mit 3,34 Prozent, Berlin mit 2,74 Prozent und Bayern mit 2,44 Prozent.