Moderator Frank Plasberg fragte, ob Deutschland zu wenig Impfstoff erhält. Foto: obs/ARD Das Erste

„Ärgerlich“ nennt es Moderator Plasberg bei „Hart aber fair“, dass in den USA und Israel viel mehr geimpft wird als bei uns. Fünf Studiogäste geben Schuldzuweisungen – und nur ein Minister wird einmal kleinlaut.

Stuttgart - Den schwersten Stand bei „Hart aber fair“ am Montagabend hatte der Arzt sowie CDU- und Europapolitiker Peter Liese („Man nennt mich den Karl Lauterbach von Brüssel“), der zwar auch einräumte, dass er „enttäuscht“ sei über die Lage mit der deutschen Impfstoffversorgung. Und der daraufhin wies, dass die EU aus heutiger Sicht wohl anders verhandeln hätte müssen bei der Bestellung von Impfstoffen, der aber mit diffusen Schuldzuweisungen auf die Grünen und Linken im EU-Parlament sowie auf anfangs offenbar unsichere Haftungsfragen beim Lieferanten Biontech/Pfizer nur Unmut in der Runde auf sich zog.

Die EU hat Impfstoffe falsch eingekauft

„Rettung tröpfchenweise: bekommt Deutschland zu wenig Impfstoff?“ lautete die Leitfrage der Talkrunde, und Moderator Frank Plasberg bezeichnete es als „ärgerlich“, dass ausgerechnet in demokratisch nicht besonders leuchtenden Ländern wie Israel mit einer bereits zu 14,1 durchimpften Bevölkerung, Großbritannien und den USA – jeweils 1,4 Prozent – die Impfraten wesentlich besser seien als in Deutschland (0,3 Prozent). „Müssen diese Länder uns zeigen, wie man es macht?“

Die EU als Impfstoffbeschafferin habe im Sommer und Herbst nicht zu wenig, aber „falsch“ eingekauft, sagte die Wissenschaftsredakteurin Christina Berndt (Süddeutsche Zeitung). Das sei „ein Trauerspiel“, wenngleich sie es auch als „unfair“ bezeichnete, jetzt übermäßig Kritik zu üben. Die EU habe stark auf den „Oxford“-Impfstoff des Herstellers Astra-Zeneca gesetzt, der sei preisgünstig und habe anfangs eine „gute Blaupause“ gehabt – doch der Impfstoff ist bis heute noch nicht in der EU zugelassen. „Es hätte ja auch anders ausgehen können“, so Berndt.

Die Front-Runner waren im Sommer doch schon bekannt

Andere Studiogäste wie der „Spiegel“-Journalist Markus Feldkirchen und der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach gaben klare Schuldzuweisungen an die EU. Sie meinten, dass Impfstoffe von Biontech/Pfizer sowie Moderna eigentlich im Sommer schon die „Front-Runner“ gewesen seien, das hätte auch die EU erkennen müssen. Ob jetzt die EU aus „nationalen Partikularinteressen“ heraus handelte – die Osteuropäer hatten Bedenken gegen den schwer zu kühlenden und teuren Biontech/Pfizer-Impfstoff, Frankreich wird eine Favorisierung eines Impfstoffs des französischen Produzenten Sanofi nachgesagt – blieb in der Runde nicht ganz geklärt.

Frankreichs Präsident Macron habe eine solche Einflussnahme dementiert, bemerkte Feldenkirchen, aber Karl Lauterbach vertrat die Ansicht, dass eine solche nationale Überlegung aus Paris „aus Verhandlungskreisen sicher nicht dementiert“ werde. „Der Einkauf über Europa war vertretbar, aber Kritik muss erlaubt sein“, sagte Lauterbach. Er sieht es als entscheidend an, dass die USA unter Donald Trump für die Vorverträge wesentlich mehr Geld in die Hand genommen hätten als die Europäer – zwölf Milliarden US-Dollar, da nähmen sich die zwei Milliarden Euro der EU für die Vorverträge bescheiden aus, das sei „knapp kalkuliert“ gewesen. Trump habe nach einer „Bauernregel“ gehandelt, er habe einfach alles gekauft.

Der Wirtschaftsminister aus Mainz ist kleinlaut

Besonders heftig vor allem mit der Bundesregierung ging der FDP-Generalsekretär Volker Wissing ins Gericht. Dass andere Länder jetzt schon mehr von einem in Deutschland produzierten Impfstoff hätten „und wir mit einer Unterversorgung leben müssen, das ist skandalös“. Die Bundesregierung hätte parallel zum EU-Einkauf auch „ergänzend“ tätig werden können, er verlange eine „Aufklärung bis ins Detail“, und die Kanzlerin müsse sich erklären. Moderator Plasberg bat dann aber Wissing, der auch Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz ist, sich selbst mal zu erklären: Er möge bitte darlegen, warum in Rheinland-Pfalz von 34.125 verfügbaren Impfdosen erste 8282 verimpft worden seien, das sei noch nicht einmal ein Viertel. Da war Wissing dann relativ kleinlaut, der Impfstoff sei ja noch nicht lange da, „das Impfen fährt ja jetzt erst an“.

Nervosität in der Regierung – und ein bohrender Brief von Scholz an Spahn

Was das künftige Impfen anbelangte, so sprachen sich mehrere Studiogäste für eine Verschiebung der zweiten Impfung auf einen Zeitpunkt von drei Monaten nach der ersten aus, um kurzfristig mehr Impfstoff zur Verfügung zu haben, und auch schon mit der ersten Impfung könnten viele Todesfälle verhindert werden, so Christina Berndt.

Allgemein in der Pandemie-Politik sieht der Journalist Feldenkirchen jetzt „Nervosität“ in der Bundesregierung, nachdem sie sich aus den Lorbeeren im Frühjahr ausgeruht habe, sei sie in Passivität und Bräsigkeit verfallen, es habe keine „kreative Ansätze“ gegeben: „Keine funktionierende Warn-App, keine Strategie für die Heime oder für effiziente Masken, keine Schulkonzepte.“ Außer „Schließung“ sei der Regierung nichts eingefallen. Und Lauterbach erneuerte sein Credo, jetzt den nächsten Lockdown solange fortzuführen, bis man eine Inzidenz von 25 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen habe. „Auch mit einer Inzidenz von 50 sind wir ja nicht in sicherem Fahrwasser.“

Aber ausgerechnet das „Impfversagen“, wie es die „Bild“-Zeitung nennt, könnte der Großen Koalition vielleicht einen Weckruf bescheren. Laut „Bild“ hat Finanzminister Olaf Scholz (SPD) einen vier Seiten langen Brief mit 24 Fragen an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geschrieben, indem er Aufklärung über das „Impfdesaster“ verlangt. Solch ein Verhalten zwischen Kabinettsmitgliedern ist höchst ungewöhnlich, das sei ein „einmaliger Vorgang“, so „Spiegel“-Autor Feldenkirchen bei „Hart aber fair“. Und die Süddeutschen-Autorin Berndt meinte: „Das zeigt, da brennt die Hütte.“