Von Sigor Paesler
Stuttgart – „Ich brauche eine Schwimmhilfe.“ Marvin Fuß ist fix und fertig. Er schnauft schwer. Fuß ist ein durchtrainierter Leistungssportler, immerhin zwei Spiele im Handball-EHF-Pokal für Frisch Auf Göppingen hat er bestritten. Das hier aber ist zu viel. Dabei ist es nur ein Trainingsspielchen auf einem drittel Spielfeld. Das Problem aber: Fuß fehlt der Boden unter den Füßen. Und damit ist er nicht allein. Die Baden-Württemberg-Oberliga-Handballer des TV Plochingen sind Trainingsgäste beim Wasserball-Bundesligisten SSV Esslingen. Nach einer Stunde steigen sie erschöpft und beeindruckt aus dem Becken.
Vor dem Eingang des Untertürkheimer Inselbades ist den Handballern die Aufregung anzumerken. Sie blödeln ein bisschen herum. „Ich hoffe, das Wasser ist nicht zu kalt“, sagt einer. Daniel Brack grinst: „Ich glaube, heute steht eine Konditionseinheit mit Längenschwimmen an.“ Ein paar Minuten später aber fragt auch der Plochinger Trainer SSVE-Teammanager Axel Hänchen: „Ist heute nicht Warmbadetag?“ Jetzt grinst Hänchen.
Kaum einer der Plochinger hat schonmal den Charme der Untertürkheimer Traglufthalle erlebt. Nicht als Zuschauer und schon gar nicht im Becken. Dort wartet bereits Heiko Nossek auf den TVP-Tross. „Auf, ins Wasser“, ruft der Co-Spielertrainer und Kapitän des SSVE den Handballern zu und winkt auch die anderen Wasserballer herbei, die ein paar Schwimmzüge entfernt trainieren. Man sieht sofort, wer hier normalerweise in welcher Sportart zuhause ist. An der Oberkörpermuskulatur. Und an der Badehose. Die Wasserballer tragen ganz knappe Hosen, dafür mindestens zwei übereinander. Bei den Handballern sind ausnahmslos Badeshorts zu sehen. Manuel Haas trägt die mit Abstand bunteste.
Im Becken sind die Sportler schwerer zu unterscheiden. Zumindest zu Anfang, als die Handballer noch recht munter unterwegs sind. Beim Einwerfen stimmt die Flugkurve des zu großen Balles zwar zunächst nicht, doch sie lernen schnell. Bällewerfen können sie.
Wasserball ist wie Handball im Wasser, sagen manche. Das stimmt aber nur zum Teil. „Wir können ja auch schwimmen“, sagt Brack, „aber dieses sich ständig Überwasserhalten kostet unheimlich viel Energie. Man unterschätzt das.“ Seine aktive Karriere hat der ehemalige Bundesliga-Handballer beendet. Vor der Wasserball-Einheit drückt er sich trotzdem nicht.
Auch wenn sich gerade Brack im Wasser gut bewegt, ist das Element mit dem Ball in der Hand doch recht ungewohnt. Und wird mit jeder Minute fordernder. Der Boden ist weit weg, der Beckenrand auch. Der vielfache Wasserball-Nationalspieler Nossek zeigt eine Beinübung, deren Ziel es ist, von einem Gegenspieler nicht so leicht unter Wasser gedrückt zu werden. Wenn man diese Technik doch nur schon als Jugendlicher im Freibad gekannt hätte. Dabei gibt es bei dieser Trainingseinheit kaum Körperkontakt. Ganz im Gegensatz zu Wasserball-Bundesligaspielen. Dennoch schlucken Johannes Hablizel und die anderen Handballer viel Wasser. TVP-Torhüter Kay Siemer, der nebenan mit SSVE-Torwarttrainer Ernesto Priol Bizet und Wasserball-Keeper Florian Pirzer arbeitet, ergeht es kaum besser. Die Anstrengung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Die Zahl der Handballer, die sich am Beckenrand festhalten, wird derweil größer.
Beim anschließenden Trainingsspiel aber macht Siemer keine schlechte Figur. Der Jubel ist groß, als Plochingens Julian Maier das erste Tor für das Team mit den grünen Kappen wirft. 5:2 endet das Spiel. Oder so ähnlich. Schiedsrichter Hänchen hat ein bisschen den Überblick verloren. „Unentschieden, Fünfmeterwerfen“, ruft Nossek trotzdem. Man hört erstes Stöhnen. „Und, kannsch noch?“ – „Nee, scho lang nimmer.“ Dennoch geben die Handballer nochmal alles. Die Wasserballer erkennt man jetzt daran, dass im Becken mehr von ihnen zu sehen ist. Sieht das leicht aus. Die Handballer kämpfen gegen das Untergehen. „Das war ein Wasserballer, oder?“ Hänchen nickt. „Und das ein Handballer?“ Der Ball klatscht noch vor dem Tor ins Wasser. Klar. Der nächste Ball zischt unters Lattenkreuz. Erneut hallt lauter Jubel unter der Tragluftkuppel. „Wasserballer?“ Hänchen: „Nein, den kenn’ ich nicht.“ Es ist Haas. Der mit der bunten Hose. Ihn meint Nossek wohl unter anderem, wenn er lobt: „Ich bin positiv überrascht. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und Berührungsängsten haben sie sich an das neue Element relativ schnell gewöhnt. Ein paar haben einen ordentlichen Wumms. Wenn sie noch schwimmen könnten, könnten wir sie durchaus gebrauchen.“
Nach dem Duschen sind auch die Handballer wieder bei Kräften. „Es war anstrengend, hat aber Spaß gemacht. Morgen wird man Beine und Kreuz schon ordentlich spüren“, vermutet Dominik Werbitzky. Auch Haas strahlt. „Das Werfen hat ganz gut geklappt“, sagt er. „Das Schwerste war, sich ständig über Wasser halten zu müssen. Nicht nur, wenn man den Ball hat, sondern gerade, damit einen die anderen überhaupt sehen, um einen anspielen zu können.“ Es war Haas’ erster Besuch beim Wasserball. „Ich werde mir auf jeden Fall mal ein Bundesligaspiel anschauen“, sagt der Rückraumspieler. Die Betontribüne ist auch kein schlechter Platz im Inselbad.
Nossek und Brack, die miteinander befreundet sind, verabreden sich derweil fürs „Rückspiel“. „Auja“, sagt Wasserball-Torwart Pirzer und schaut zu seinem Handball-Gegenüber Siemer herüber: „Aber macht es verträglich, so wie wir heute mit euch.“ Siemer lacht. In der Handballhalle hilft auch keine Schwimmhilfe.
In der neuen Serie „Quertreiber“ begleitet die EZ Sportler, die sich in einer anderen Sportart versuchen. Mannschaften oder Einzelsportler, die ebenfalls einmal quertreiben wollen, können sich gerne melden unter sport@ez-online.de