Wie aus einem Bericht zur Polizeilichen Kriminalstatistik hervorgeht, waren insgesamt 256.276 Menschen im Jahr 2023 offiziell von häuslicher Gewalt betroffen – 6,5 Prozent mehr als 2022. Foto: dpa/Jonas Walzberg

Mit zwei Brandstiftungen in Essen soll ein Mann 31 Personen verletzt haben. Womöglich, weil er eine Trennung nicht verkraftete. Laut Bund der Kriminalbeamten ein besonders drastischer Fall, dem schwere häusliche Gewalt vorausging.

Der Fall von Essen mit zwei mutmaßlichen Brandstiftungen und 31 Verletzten ragt laut dem Bund der Kriminalbeamten (BDK) in mehrfacher Hinsicht drastisch heraus. Man habe es bei den Ermittlungen gegen den tatverdächtigen 41-jährige Syrer mit mehrfachem Mordversuch zu tun, sagt der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Oliver Huth.

Taten fokussieren sich auf Partner

Der mutmaßliche Täter habe in Kauf genommen, dass alle Menschen in den Häusern, die er angezündet habe, ums Leben kommen. Normalerweise fokussierten sich solche Taten „auf den Beziehungspartner, was auch schon schlimm genug ist.“

Der Mann soll die Brände in zwei Häusern gelegt haben. Er sitzt seit Sonntag wegen schwerer Brandstiftung und versuchten Mordes in Untersuchungshaft. Nach bisherigem Kenntnisstand wollte er Menschen in dem Haus töten, die seine Ex-Frau unterstützen.

Nachdem er die Brände gelegt hatte, fuhr er nach Polizei-Angaben noch mit einem Lieferwagen gegen zwei Geschäfte und verschwand mit einer Machete in einem der Läden, wie ein Video zeigt. Er wurde kurze Zeit später von mehreren Personen in einem Hinterhof in Schach gehalten, bis die Polizei eintraf.

Polizisten stehen nach einem Brand in Essen am 28. September mit Bewohnern vor einem Wohnhaus. In Essen sind bei mehreren Feuern mehrere Menschen verletzt worden. Foto: dpa/Markus Gayk
Die Einsatzkräfte waren an unterschiedlichen Stellen parallel im Einsatz, wie die Feuerwehr mitteilte. Foto: dpa/Thomas Banneyer

41-Jähriger war häuslicher Gewalt verdächtigt

Huth bestätigte, dass der 41-Jährige der Polizei zuvor bekannt gewesen sei und nannte häusliche Gewalt. Was der Polizei genau an Informationen vorlag, um die Gefährdung einzuschätzen, sei noch nicht klar.

Nach der Pandemie habe es einen Anstieg beim Thema häusliche Gewalt gegeben, meistens seien die Täter männlich und kündigten ihre Taten auch oft verbal an Der BDK-Landesschef sprach von einem besonderen Fall von Mut, den die eingreifenden Personen am Wochenende gezeigt hätten. Zugleich mahnte er zur Vorsicht: Zivilcourage sei wichtig, „aber bitte nicht selber in Gefahr bringen.“

Häusliche Gewalt betrifft nicht immer die eigenen vier Wände

Es trifft vor allem Frauen und zwar aus allen gesellschaftlichen Schichten: Die Zahl der Opfer von häuslicher Gewalt ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen.

  • Wie aus einem Bericht zur Polizeilichen Kriminalstatistik hervorgeht, waren insgesamt 256.276 Menschen im Jahr 2023 offiziell von häuslicher Gewalt betroffen – 6,5 Prozent mehr als 2022.
  • Bereits im Jahr davor hatte es einen Anstieg um mehr als acht Prozent gegenüber 2021 gegeben. In beiden Jahren waren drei Viertel der Tatverdächtigen männlich.
Häusliche Gewalt in der Partnerschaft. Foto: dpa-Infografik

Partnerschaftsgewalt besonders im Fokus

Von häuslicher Gewalt ist immer dann die Rede, wenn es sich um Personen handelt, die in einer partnerschaftlichen Beziehung zueinander sind oder waren oder wenn sich die Gewalt in der Familie abspielt, beziehungsweise eine familiäre Beziehung besteht. Es sei dabei unerheblich, ob sich die Gewalt innerhalb der eigenen vier Wände zutrage, erklärt BKA-Vizepräsidentin Martina Link.

  • Besonders im Fokus steht dabei die Gewalt, die von Partnern oder Ex-Partnern verübt wird:
  • Diese betrifft mit 65,5 Prozent die meisten Opfer häuslicher Gewalt.
  • Hier gab es 2023 knapp 168.000 Fälle – 6,4 Prozent mehr als 2022.
  • Mit 79,2 Prozent waren die Opfer von Partnerschaftsgewalt überwiegend Frauen.
  • In den meisten Fällen handelte es sich dabei um vorsätzliche einfache Körperverletzung (59,1 Prozent), Bedrohung, Stalking oder Nötigung (24,6 Prozent) sowie um gefährliche Körperverletzung (11,4 Prozent).

Im vergangenen Jahr sind laut Statistik 155 Frauen durch ihren Partner oder Ex-Partner umgebracht worden – 22 mehr als im Vorjahr. Unter den Männern waren es 24.

Häusliche Gewalt in der Familie. Foto: dpa-Infografik

Innerfamiliäre Gewalt trifft auch viele Kinder

  • Die restlichen Betroffenen, die in der Statistik registriert sind, haben innerfamiliäre Gewalt erlebt (34,5 Prozent). Die kann sich beispielsweise auch zwischen Großeltern und Enkelkindern oder anderen nahen Angehörigen abspielen.
  • Betroffen waren im vergangenen Jahr 88.411 Menschen – ebenfalls ein Anstieg um 6,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
  • Im Gegensatz zu den Opfern partnerschaftlicher Gewalt ist das Geschlechterverhältnis hier relativ ausgeglichen. Lediglich 54 Prozent der Opfer waren weiblich, ein Viertel von ihnen jünger als 14.
In Deutschland gibt es derzeit 7786 Plätze in Frauenhäusern. Die Einrichtungen sehen aber einen zusätzlichen Bedarf von 10.300 Plätzen. Die Gewerkschaft der Polizei geht sogar von 14.000 fehlenden Plätzen aus. Foto: dpa/Fabian Sommer

Erklärversuche für Zunahme von häuslicher Gewalt

Der Vizepräsidentin des Bundeskriminalamtes (BKA), Martina Link, zufolge dürften die gesellschaftlichen Krisen eine Rolle bei der immer weiter steigenden Opferzahl spielen. Aber auch die Anzeigebereitschaft sei zuletzt gestiegen. Immer mehr Nachbarn oder Menschen aus dem näheren Umfeld trauten sich, Täter anzuzeigen.

Dieses Phänomen beobachtet auch Petra Söchting, die das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ leitet. Bei ihr seien 2023 mit 59.000 so viele Beratungsfälle angefallen wie noch nie, erklärte sie. Ein Anstieg um zwölf Prozent im Vergleich zu 2022.

Klar ist auch: Die Zahlen steigen Jahr für Jahr. Angebote für Betroffene gibt es zwar schon, doch sie reichen längst nicht aus, um den Bedarf zu decken.

Mit 79,2 Prozent waren die Opfer von Partnerschaftsgewalt überwiegend Frauen. Foto: dpa/Frank May

Zu wenig Plätze in Frauenhäusern

In Deutschland gibt es derzeit 7786 Plätze in Frauenhäusern. Die Einrichtungen sähen aber einen zusätzlichen Bedarf von 10.300 Plätzen. Die Gewerkschaft der Polizei geht sogar von 14.000 fehlenden Plätzen aus.

Sozialverbände pochen auf größere Investitionen durch staatliche Stellen. „Ohne eine verbindliche Finanzierung durch alle staatlichen Ebenen“ könne der flächendeckende Zugang zu Schutzangeboten nicht gewährleistet werden, betont die Präsidentin des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier.